Feurio

John  von Düffels neuer Roman „Der brennende See“

John von Düffel lässt in seinem neuen Roman „Der brennende See“ keinen See wirklich brennen, mit einer einzigen Ausnahme, gleich zu Anfang: „Der Bellandursee ist die apokalyptische Sehenswürdigkeit von Bangalore: Das größte Gewässer der Stadt ist so verschmutzt, dass die Chemikalien und Abfälle darin immer wieder Feuer fangen. So im Februar, dann wieder im Mai. Zwölf Stunden loderten die Flammen, und Rauch stieg über der Stadt auf. Indiens drittgrößte Stadt, eigentlich bekannt als Silicon Valley des Landes, macht einem neuen Namen alle Ehre: Bangalore, Stadt der brennenden Seen.“

John von Düffel

Düffel stellt dieses Zitat aus „spiegel.de, 10. 6. 2017, 23.35 h“ kursiv gedruckt dem ersten Teil und ersten Kapitel, mithin seinem Roman insgesamt voran. Das Zitat erweist sich als Motto, denn Düffel (ein leidenschaftlicher Schwimmer und kenntnisreicher Beschreiber des Wassers in allen Aggregatzuständen) macht einen See zu einem Gravitationszentrum der Fabel; ein anderes sind Wettervoraussagen, ebenfalls kursiv gesetzt und jedem Kapitel vorangestellt, die einen viel zu heißen April beschreiben, der mit Trockenheit einhergeht und neben Dürre Unwetter setzt, zerstörerisch starken Regen. Die Welt ist aus den Fugen. Wer kommt, sie wieder in ihre Angeln zu heben?

Ganz gewiss nicht Hannah. Sie ist, Übersetzerin mit überschaubarem Einkommen, in ihre Heimatstadt zurückgekehrt, nachdem ihr Vater, ein Schriftsteller mit überschaubarem Erfolg, das Zeitliche gesegnet hat. Sein Testament enthält mehr Ideelles als Materielles. Eine Filmfirma interessiert sich für den letzten Roman und möchte Hannah gern gewinnen als Mitarbeiterin, die das Erbe ihres Vaters, sein Engagement für die Umwelt,  verbürgt.

Hannah hat keine Lust. Sie hat zu nichts Lust, trinkt mehr Wodka, als sie möchte und sollte, ist häufiger beduselt und hat Sex mit dem Anwalt, der ihren Vater beraten hat, obwohl sie nicht will.

Diese in sich widersprüchliche Figur verkörpert eine Generation, die, obwohl sie weiß, dass sie den Planeten mit ihrem Konsumwahn verheert, nichts tut, dies (also sich) zu ändern.

Düffel brilliert bei seinem Versuch, den relativ realistischen Roman in einen romantischen zu verwandeln. Er erinnert stark an Goethes Mährchen, nicht zuletzt durch die Fülle von Symbolen –  das hübscheste ein rotes Fahrrad – die Möglichkeiten des Transzendierens evozieren – und es gibt eine zweite Frauenfigur: Julia, eine Hannah, die möglich (gewesen) wäre, vielleicht eine jüngere Schwester, auf jeden Fall ein kluges, engagiertes Mädchen, das eine enge, innige Beziehung zu Hannahs Vater unterhielt – und Hannahs  Eifersucht entzündet.

Julia engagiert sich in der Fridays-for-Future-Bewegung, kämpft für die Erhaltung des Sees (wie Hannahs [und Julias?] Vater). Die lukrativste Möglichkeit wäre es, den See einer Firma zu überlassen, die ihn in eine Mülldeponie verwandeln will. Dazu wird es am Ende wohl kaum kommen, denn obwohl Hannah sich konsequent raushält, dürfte es eine Lösung geben, den See für den Tourismus zu bewahren.

Möglich – Düffel hält das Ende bewusst offen und in der Schwebe. Aber er warnt – schon gleich, bevor der Roman noch beginnt, mit dem Hinweis auf Indien.

Der Roman ist eine Huldigung an die Romantik, an das Weibliche, das Uneindeutig-Mehrdeutig-Durchscheinende, an die produktive Einbildungskraft der Leser*innen, in der Gegenwart Möglichkeiten für die Zukunft zu entdecken – und, liebe- wie respektvoll, an Julia & ihre Generation, eine unnachsichtige Kritik der eigenen inclusive – der Autor ist Jahrgang 66.

Düffel ist hingebungsvoller und leidenschaftlicher Vater. Er widmet seinen Roman „Greta und Katja“. Greta, wer mag das sein? Und Katja? Düffels Frau heißt, soweit ich weiß,  Katja, und seine Tochter?

Wer weiß? Und der See…

Er brennt nicht. Noch nicht. „Der brennende See“ ist ein Roman gegen brennende Seen.

                                                                       Ulrich Fischer

John von Düffel: Der brennende See.  DuMont. 319 S.; 22,00 €.