Freies Geleit für Jan Maršálek

Interview mit Carl Zuckmayer: Hochstapelei und Genialität

Die Fragen stellte Ulrich Fischer

Frage: Herr Zuckmayer, Sie arbeiten an einem neuen Stück?

Autor: Carl Zuckmayer.Foto: Archiv S. Fischer Verlag

Carl Zuckmayer: Ja, es geht um Jan Maršálek, Einer der genialen Leiter der Firma Wirecard.

Frage: Genial? Der Mann ist doch mutmaßlich ein Betrüger!

Zuckmayer: Betrüger?? Nein. Ein Magier, ein Illusionskünstler. Er kann die große Menge glauben machen, es gebe 1,9 Milliarden, wo es nichts gibt. Das ist genial.

Aber er ist doch ein Schwindler – er wollte Vorteile für sich selbst.

Zuckmayer: Das wollte Schuster Voigt auch. Er war auch kein Hauptmann. Er hat sich eine alte Uniform gekauft und ist als Hauptmann von Köpenick aufgetreten – überzeugend. Sogar der Kaiser hat gelacht.

Meinen Sie denn, Jan Maršálek sei ein Hochstapler?

Zuckmayer: Unbedingt – und genialer noch als der Schuster Voigt. Schon wegen der Ambition und der Dimension. Wilhelm Voigt wollte bloß Unterlagen haben, um einen Wohnsitz nachzuweisen, damit er Arbeit bekommen kann. Maršálek will das süße Leben – und er wird es auch bekommen, vermutlich genießt er es schon,  und er  hat es bereits genossen. Mein Schlussbild hab ich bereits konzipiert: Jan, wie ich ihn immer nenne,  sitzt auf der linken Seite der Bühne in einem Luxusappartement mit einer jungen, aufgeschlossenen Dame bei Champagner und  frischem  Kaviar, aber auf Eis; und rechts sitzt die Staatsanwältin in ihrem traurigen bayerischen Sparbüro, rauchend, verzweifelt vor ihrem veralteten Computer und rauft sich die Haare.

Hochstapler sind Verbrecher – und Sie sagen: Crime pays.

Zuckmayer: Das sage ich nicht nur, das ist so. Der Fall Tönnies spricht doch für sich. Warum wird der von Sigmar Gabriel unterstützt? Weil der wunderbare ehemalige und hochverdiente SPD-Vorsitzende  das auch erkannt hat – aber er hat nicht Jans  Format. Jan hat mehr als fünfhundert Millionen im Sack.

Was fasziniert Sie an einer solchen Gestalt?

Zuckmayer: Mich? Nichts. Als Dramatiker im Jenseits gehe ich täglich mit solchen ehemaligen Kollegen um und ich bin ja auch einer. Nein: Die Leute sind fasziniert von Hochstaplern.

Das ist das Geschäftsmodell. Sie müssen als erfolgreicher Hochstapler lernen, Mitbürgern zu versprechen, sie könnten ihre Träume verwirklichen. Hier geht’s um Geld, Geld ohne Arbeit. Ein uralter Menschheitstraum. Und dann weben sie darum Geschichten um Geschäfte. Kein Bänker traut sich, das in Frage zu stellen, wenn er Gefahr läuft, die Leute könnten meine, er durchschaue das Geschäftsmodell nicht, das Jan imaginiert. Wie bei des Kaisers neuen Kleidern. Alle staunen, bis das Kind ruft, der Kaiser sei  nackt.

Lernen denn die Menschen nicht? Sie kennen doch das Märchen von Andersen und Ihr Stück über den Hauptmann von Köpenick.

Zuckmayer: Ja, sie lernen, aber nicht genug. Deshalb ist es völlig verfehlt, Jan als Betrüger und Verbrecher zu verfolgen. Er müsste einen Orden kriegen!

Jetzt übertreiben Sie!

Zuckmayer: Natürlich, das ist meine Aufgabe als Dramatiker. Aber im Ernst: Maršálek hat aufgedeckt, wie unfähig & schlafmützig Ihre hochbezahlten Kontrolleure sind, wie leicht hartgesottene Börsenprofis sich täuschen und ihr Geld abluchsen lassen, Menschen, die wähnen, sie wären die großen Durchblicker und gefährliche Haie. Überdies: das System ist entlarvt. Gar nicht zu reden von der Philosophie: Was bedeutet Geld? Angesichts der Milliarden, die die EU aufbringt, ist es doch evident: Geld ist eine fiktive Vorstellung – Fata Morgana, Luftspiegelungen, die nur als Realität erscheinen, wenn alle dran glauben. „Die Idee wird zur materiellen Gewalt, wenn sie die Massen ergreift“ – hat schon Karl Marx erkannt. Kredit – das Wort ist nicht zufällig gewählt. Es kommt aus dem Lateinischen und hat was mit Glauben zu tun.

Wer uns so heiter und souverän über uns aufklärt, wer so kühn seinen Traum verwirklicht aus dem trüben Grau der Mittelmäßigkeit in die Sphären des Luxus und der Moden aufzusteigen, der hat alle Anerkennung verdient – und meine auch.

Wer soll die Titelrolle spielen?

Zuckmayer: Ich hab mit dem Freund und Kollegen Bertolt überlegt, der rät: Mackie Messer.  Sir Mackie wird am Ende geadelt.

Dieses Interview wurde vorgesternheutemorgen am Olymp geführt, Region unwelkbarer Lorbeer. Es ist wahrnichtwahr?