Auf in den Kampf!

Ronya Othmanns Roman „Die Sommer“

Ronya Othmann hat mit „Die Sommer“ einen ungewöhnlichen Roman geschrieben, er hat etwas von AgitProp. Gutem, nachvollziehbarem AgitProp. Und feministisch ist er auch.

Im Mittelpunkt steht Leyla. Sie ist die Tochter einer deutschen Mutter und eines kurdischen Vaters. Als kleines Mädchen fährt sie in den Sommerferien immer zu den kurdischen Großeltern – ein Idyll, einerseits, schrecklich zurückgeblieben, ländlich-primitiv andererseits. Leyla liebt ihre Großmutter, wie eine Enkelin nur ihre Oma lieben kann – und lernt von ihr alles, was ein kurdisches Mädchen lernen muss, die mal einen  kleinen Hof bewirtschaften, das Haus sauber halten und den Männern Tee bringen soll.

Nordsyrien ist karg, die Großeltern arm, die Berge in der Ferne markieren die Grenze zur Türkei –   der Vater musste fliehen. Er wurde als Jeside verfolgt und als Kommunist. Ronya Othmann entfaltet die Geschichte der Jesiden, die jahrhundertelange Verfolgung; sie berichtet über die Religion, ihre zentralen Mythen: sie macht nachvollziehbar, dass Oma das Land und das Volk verkörpert und Leyla nach und nach  durch und durch in jeder Faser ihres Herzens Jesidin und Kurdin wird.

Leyla ist keine blendende Schülerin, schafft aber in Deutschland das Abi und studiert Germanistik – sie langweilt sich an der Uni, begreift nix, feiert Party, säuft, ihr Joint ist ihr Froind,  Leyla macht mit einer Freundin rum, leidet unter Liebeskummer, als sie abserviert wird und ist so orientierungslos, als wolle Ronya Othmann mit ihr ein Porträt ihrer Generation pinseln – „Die Sommer“ ist Othmanns erster Roman, sie ist Jg. 93.

Goya – Schrecken des Krieges

Dann kommen die stärksten Passagen, unerträglich: der Vater sitzt in seiner Freizeit nur vor dem Fernseher, sieht kurdische Sender. Erst die Euphorie, die Hoffnung, der Diktator werde besiegt und dann der Fall in finstere Hoffnungslosigkeit, die schrecklichen Nachrichten, Desastres de la Guerra wie bei Goya.

Die Wendung zum Agitprop ist sorgfältig vorbereitet. Leyla hat die Schnauze voll – gestrichen. Vom Elend in der Uni, in der Liebe, zu Hause, aber vor allem von den Nachrichten. Der letzte Absatz: „Zu gehen ist in erster Linie eine Abfolge von Schritten. Leyla stand auf, schulterte ihren Rucksack, machte einen Schritt durch das Zimmer, dann einen zweiten, trat in den Flur, öffnete die Wohnungstür, stand im Treppenhaus, schloss die Tür hinter sich, ging die Treppenstufen hinunter, warf den Schlüssel in den Briefkasten, zog die Haustür auf, trat über die Schwelle, machte die ersten Schritte.“

Der Roman fordert auf, in den Krieg zu ziehen. Es gibt keine Alternative, argumentiert Ronya Othmann. Selbst für einen überzeugten Pazifisten – ein bewegendes Buch, bewegend in des Wortes verwegenster Bedeutung.

                                                                  Ulrich Fischer

Ronya Othmann: Die Sommer.  Hanser. 285 S.; 22,00 €.