Frauen und Männer

Rebekka Kricheldorfs  „Der Goldene Schwanz“  beim Dramatikerwettbewerb 2021

MÜLHEIM.  Ihr neues Stück „Der Goldene Schwanz“ ist, wie Rebekka Kricheldorf gleich im Untertitel erläutert,“Eine Aschenputtel-Variante nach den Brüdern Grimm“. Sie spielt hier und heute. Nicht im Märchenland des Mittelalters oder des 19. Jahrhunderts, sondern in unserer Welt, 21. Jahrhundert, knallhart, wie das Wort „Schwanz“ im Titel gleich ankündigt. Das Derbe ist Programm, der „Goldene Schwanz“ ein Volksstück abseits aller Subtilität. Neben Aschenputtel sind die wichtigsten Figuren, wie im Märchen, die beiden Halbschwestern und die böse Stiefmutter. Die, auf sozialen Aufstieg versessen, dressiert ihre beiden Töchter darauf, den goldenen Schwanz zu jagen, den Prinzen. Dabei wiest „Schwanz“ auf einen wichtigen, meist verborgenen Körperteil des Prinzen, „Gold“ verspricht Reichtum und Prestige.

Rebekka Kricheldorf

Aschenputtels Schwestern sind Konsumidiotinnen, versessen, ihr Äußeres zu verschönern – nach den missleitenden Maßgaben der Werbung. Sie sind untereinander wegen unablässiger Konkurrenz zerstritten, beide zusammen gehen gern auf Aschenputtel los, die völlig unbeeindruckt davon zu Haus versucht, alles in Ordnung zu bringen, sauber zu machen und sich aufs Abitur in der Abendschule vorzubereiten. Sie legt keinen Wert aufs Äußere, liest lieber. Rebekka Kricheldorf malt schwarz/weiß, was einen großen Reiz ihrer Variation ausmacht.

Der Prinz ist ein Schauspieler. Als junger Mann hat er einmal in einem erfolgreichen Streifen die Hauptrolle gespielt, jetzt folgen Folgen auf Folgen, er ist nicht mehr jung, seine Aura wird durch Makeup ersetzt – und seine PR-Dame hat ihm einen Vertrag verpasst, dem zufolge er einen Fan eine Stunde lang empfangen muss –   das ist ausgerechnet Aschenputtel. Die beiden verlieben sich ineinander und triumphieren   „Sis“ und „Sista“.

Manchmal hängt die Geschichte durch, die Lazzi und der Hauptspaß, das Märchen im Heute spielen zu lassen und die Konsumgesellschaft durch den Kakao zu ziehen, trägt dann nicht mehr, aber ein langer Monolog des Prinzen kurz vor dem Finale reißt das Stück entschieden hoch:

„Ich schäme mich für mein verlogenes Geschleime auf Partys. Für all die toxischen Geschichten, die ich aus Profitgier unters Volk brachte. Für all die falschen Träume, die ich in Teenie-Herzen pflanzte. Die Lügen, mit denen ich ihr Gemüt  verseuchte… Ich schäme mich dafür, dass ich meine Herkunft des Ruhmes willen verleugnet habe-“ (S.46)

Auch der Schluss ist geglückt – es gibt nämlich nicht nur ein Happy-End, sondern viele. Die Damen malen sich aus, welche Möglichkeiten es gibt, ein gutes Leben zu leben, ohne goldenen Schwanz, selbstbestimmt. Dabei lässt Rebekka Kricheldorf den Männern – zwei Rollen gegenüber drei dominanten Rollen für Damen –   Gerechtigkeit widerfahren. Der Prinz will raus aus seinem Erfolgskorsett und endlich ein ernsthafter Schauspieler werden, nimmt dafür auch seine Entlassung in Kauf, die Verwandlung seines goldenen in einen ganz normalen Blechschwanz – und erhält dafür Aschenputtels Liebe – ein heiteres, offenes Ende.

„Der Goldeen Schwanz“ ist ein feministisches Lehrstück (in Volkstheatertradition) über die flachen Abgründe des Konsums heute und   alternative Möglichkeiten – für Frauen und Männer. Die Didaxe wirkt mitunter zu stark, manchmal gewinnt der Eindruck überhand, dies sei ein Stück für junge Leute. Aber warum nicht? Und Ältere können überprüfen, wie weit sie sich haben verführen lassen und ob nicht einiges (noch) zu korrigieren wäre.                                                                                  

                                                                                     Ulrich Fischer