Leben und Tod

John  von Düffels neuer Roman „Die Wütenden und die Schuldigen“

John von Düffel vermerkt auf der Rückseite des Umschlags von seinem neuen Roman: „Die Wütenden und die Schuldigen“, es sei „Zeit, zu den großen Fragen zurückzukehren“. Er hält Wort:

Es geht um Leben und Tod – und um die Kunst. Düffel neigt seit seinen (längst verflossenen) Jugendjahren zur Ironie, vornehmlich zum Sarkasmus. Um alles recht deutlich zu machen, entwickelt er seinen hochentwickelten Realismus weiter zum Hyperrealismus. Jakob, eine Nebenfigur, studiert Kunst, und steht für seine Professorin, eine Malerin von Weltruf, Modell. Er darf mal einen Blick auf das noch nicht vollendete Bild werfen: „Es zeigte ein fotorealistisches Porträt seines Penis in Öl. … Das Aderwerk des Penisschafts umfasste ein Spektrum vom saftigen Blutrot der Arterien bis hin zu knolligen knotigen Schwellungen in Venenblau, Violett und Dunkellila.   Die ölig glänzenden Hauptpartien vom Skrotum aufwärts changierten zwischen hühnerhautartiger Blässe und einem warmen Leberbraun, das sich zu Spitze hin in ein surreal flaumiges Rosa verjüngte.“

Surreal – ein wesentlicher Bestandteil des Realismus – wirkt auch ein Traum von Richard; er ist der Großvater der Familie, deren Porträt Düffel entwirft. Richard war Pastor, längst im Ruhestand, haust in seinem alten Pfarrhaus in der Uckermark, und stirbt. Eine Freundin seiner Schwiegertochter, eine namhafte Ärztin für Sterbebegleitung, besucht und behandelt ihn. Richards Traum, eher eine Vision, nähert sich dem Bereich zwischen Leben und Tod, eben dem Sterben; Textpartien erinnern mal an die an die Offenbarung des Johannes, mal an Jean Pauls „Rede des toten Christus vom Weltengebäude herab, dass kein Gott sei“. Die Erdung dieses erschreckend präzis umrissenen Ausflugs ins Phantastische kommt mit der Erkenntnis, dass die Vision mit chemischen Linderungsmitteln der Ärztin in Verbindung steht.

Es geht überdies zentral um das Verhältnis der Generationen: Die Wütenden wollen jene, die töten, töten, damit endlich das Töten ein Ende finde.

Düffel löst die uralten Menschheitsfragen nicht, er wirft sie auf – und wenn Richard wähnt, er verwandele sich in eine Fledermaus, wird ein weiteres Problemfeld angerissen: Corona. Die Figuren durchleiden eine Quarantäne – Düffel legt nahe, es sei eine Zeit der Besinnung, der Reinigung. Und man könne, solle neu anfangen, wenn sie sich dem Ende zuneigt.

Schwere Fragen, behandelt mit Virtuosität, einer Fülle von Paradoxen und skurrilem Humor. Düffelkonzentrat, 23 Karat.

                                                                  Ulrich Fischer

John von Düffel: Die Wütenden und die Schuldigen.  DuMont. 314 S.; 17,99 €.