Felicia Zeller war schneller
Felicia Zeller war schneller als der Bundesgerichtshof. Schon im Januar letzten Jahres wurde ihr Stück „Der Fiskus“ uraufgeführt. Dort sagte Bea, Beamtin in einem maroden Finanzamt, über Cum-Ex-Geschäfte: „Das ist asozial!/Ständig werden Sozialarbeiter in Problemviertel geschickt/Um Menschen wieder in die Gesellschaft zu integrieren/Aber wer geht in den anderen Problembereich unserer Gesellschaft/Dahin, wo die wirklich Asozialen leben/Menschen/die den anderen das Geld wegnehmen und dreist behaupten/Das sei legal/Geldwegnehmen sei eine Gesetzeslücke/Geldwegnehmen sei eben eine Art Sport/Geldwegnehmen sei eine höhere Mathematik/Geldwegnehmen sei eine Definitionsfrage/…“
Dieser glasklaren Analyse haben sich unsere höchsten Richter angeschlossen, ohne allerdings ihre Quelle, eben Felicia Zeller, zu nennen. Zeller analysiert aber nicht nur den Schwindel, sondern sie legt gleichzeitig offen, warum es so lange dauerte, bis das Verbrechen beim Namen genannt wurde, warum unsere Finanzämter so lange auf die dreisten Schwindler reingefallen sind:
Bea, 55, im gehobenen Dienst, hätte längst befördert werden müssen, aber Nele, obwohl erst 45, wurde ihr vorgezogen. Der Grund wird bald offensichtlich: Nele hat als aalglatte Vollopportunistin die besten Voraussetzungen für eine glänzende Karriere. Beinahe wäre es ihr gelungen, die Veröffentlichung von Beas Erkenntnisse zu verhindern. Die ganze Besetzung des Finanzamtsbüros lässt schaudern.
Elfi ist erst 28, im mittleren Dienst, wie ihr Mann Reiner, 30, auch mittlerer Dienst. Reiner ist eigentlich nicht Finanz-Beamter, er ist Singer-Songwriter – aber da er dem Rat seines dominanten Vaters gefolgt ist, was Solides zu machen, und nicht wirklich seinem musischen Talent vertraut, ist absehbar, dass er mittelmäßig bleiben wird, mittelmäßig als Sänger wie als Beamter – wie seine Frau. Sie richtet ihr Interesse und ihre Energie darauf, selbst ihre Steuererklärung zu optimieren – die Grenze zum Betrug überschreitet sie, wenn sie meint, sicher sein zu können, dass niemand ihr etwas nachweisen kann. Die Ersparnisse bewegen sich im Hundert-Cent-Bereich. Aufwand und Ertrag stehen in krassem Missverhältnis – das Paar ist kleinlichst, ebenso engstirnig wie engherzig. Den großen Betrug erkennen sie nicht.
Der bewegt sich im MillionenEuroBereich: Erstattungswünsche in dieser Höhe erhebt die Firma LAW FIRM RETIREMENT PLAN TRUST ABILITY BRANCH im Rahmen eines Cum-Ex-Geschäftes. Bea wird das verhindern.
Als die Firma Bea auf einfache Nachfragen hin mit gerichtlicher Verfolgung, finanziellem Ruin und persönlichen Schadenersatzansprüchen in Millionenhöhe droht, lassen sie alle Kollegen schnöde im Stich, ihre neue Vorgesetzte zuvörderst. Der Zusammenhalt in der Bürogemeinschaft würde bröckeln, hätte es hat ihn denn je gegeben.
Als Bea dann gegen alle Wahrscheinlichkeit dennoch Erfolg hat und die Presse ihre unerschrockene, couragierte und sachverständige Finanzbeamtin feiert, erklärt Nele, die neue Büroleiterin, das sei der Erfolg aller gewesen. Tatsächlich hatte Nele versucht, Bea zu behindern, hatte ihr gedroht, hat sie schließlich sogar in ein abseits liegendes Büro ohne Telefon und Computer versetzen lassen – aber jetzt, beim Erfolg hängt sie sich an Bea. Nele ist gewissen- und ruchlos. Das qualifiziert sie zum Aufstieg, Zeller legt nahe, dass sie bestimmt bald Leiterin des Finanzamtes wird.
Jeder könne begreifen, so Felicia Zeller, dass man höchstens nur einmal Steuern, die man bezahlt hat, erstattet bekommen kann, nicht mehrmals. Dazu braucht niemand internationale Anwaltssozietäten und unverständliche Professorengutachten – das kann jeder begreifen, nicht nur eine einfache Finanzbeamtin im gehobenen Dienst, sondern jede Zuschauerin, jeder Zuschauer, jede Leserin, jeder Leser.
Den gesellschaftlichen Sumpf, der so lange die einfache Erkenntnis verdunkelte, schildert Felicia Zeller – im Urteil des Bundesgerichtshofs hingegen ist er so explizit nicht zu finden. Zellers Analyse weist auf strukturelle Schwächen des Systems: Sachverständige Mitarbeiter stören und werden weggebissen, Opportunisten gewinnen. Die Bezahlung ist unzureichend; wenn Bea, entsprechend besser honoriert, in die Schweiz zu den Strippenziehern gehen würde – wer könnte es ihr verargen?
Zeller wurde mit ihrem Stück zum Mülheimer Dramatikerwettbewerb 2020 eingeladen – der wegen der Pandemie abgesagt werden musste. Sie hätte den Preis verdient gehabt. Vielleicht sollte sie jetzt als Richterin nach Karlsruhe berufen werden, sie ist sachverständig. Auf ihrer Website steht, sie arbeite im „Bereich Wirtschaftsdramatik“.
Oder man schafft die maroden Finanzämter ab, gibt die eingesparten Peanuts Frau Zeller und wartet auf weitere Enthüllungen.
Ulrich Fischer