Der Schweiß der Edlen

Kleistnovelle als Vorlage für ein Musical

HAMBURG. „Coolhaze“ ist eine Verballhornung von „Kohlhaas“; das Studio Braun, ein in Hamburg weltbekanntes Theaterkollektiv,  hat zusammen mit dem Deutschen Schauspielhaus ein Musical produziert, das auf  Henrich von Kleists Novelle (1810) beruht. Die Uraufführung, wegen Corona verschoben, kam am letzten Samstag heraus. Bei Kleist geht es um Unrecht im Deutschland zur Zeit von Martin Luther, das Studio Braun knöpft sich das Filmgeschäft im 20. und/oder 21. Jahrhundert vor. Ein ruchloser Regisseur dreht mit seinem Team einen Film über einen Motorradhändler in New York, der zur Waffe greift, nachdem ihm schweres Unrecht geschehen, sein Mitarbeiter schwer verletzt und seine Frau ermordet worden ist.

Charly Hübner als Coolhaze – Foto: Marcel Urlaub

Das ist die Filmhandlung, die sich an Kleist anlehnt; sie wird begleitet und oft überdeckt von der Geschichte, wie der Film entsteht (Making of…) – ein großer Theaterspaß: der Regisseur wird als Tyrann gezeichnet, der, selbst schwach, die Schwächen seiner Schauspieler ausbeutet. Deshalb tun sich die andern zusammen, um ihn am Ende in der Versenkung verschwinden zu lassen. Der Hauptdarsteller  (Charly Hübner) hat kein Interesse an seiner Rolle, sondern an Geschäften. Sein Handy klingelt während der Aufnahme; er ist ein Star am Ende seiner Laufbahn,   muss sein Fett in gesundheitsgefährdende Korsetts klemmen; die Protagonistin ist eine sektsaufende und rauchende Schlange, die mit ihrem Gift alles Verbindende des Ensembles zersetzt und zerstört – und so fort. Die Klischees sind treffend, die Akteure übertreiben mit Lust. Sie singen gut, das üppig besetzte Orchester spielt mit Schwung und Schmiss –  das Publikum ist begeistert und spendet oft Szenenbeifall – es sucht offenbar in der Seuchenplage Witz und Ablenkung. Aber die  gekonnt vorgetragenen Lazzi auf der Bühne stehen in bedrückendem Gegensatz zu den Masken im gedrängt sitzenden Publikum – der Abend wirkt unangenehm frivol.

Trotz des meisterhaften Spiels – es gelingt kein einziger Ohrwurm.

Aber der Hauptmangel liegt im Kern der Handlung – warum macht sich das Studio Braun ausgerechnet über das Filmgeschäft lustig? Im Vergleich zu Kleist ist die Wahl dieses Sujets oberflächlich. In Amerika gibt es ein Musical, das auch   Kleists Novelle aufgreift. E.L.Doctorow hat sich mit seinem Roman „Ragtime“ an Kohlhaas angelehnt, der in die USA verpflanzte Stoff wurde verfilmt und auch zu einem Musical verarbeitet – die sehenswerte Broadway-Erstaufführung ging am 18. Januar 1998 im neu eröffneten Ford Center for the Performing Arts über die Bretter: die opulente Produktion kam auf insgesamt 834 Vorstellungen und 27 Previews.   Dieses Musical ist dem Braunschen nicht nur weit überlegen, weil es mehrere Ohrwürmer gibt, es ist vor allem so viel besser, weil es einen ernsten Kern hat und nicht Kleist um eines heiteren Abends willen verwurstet. In New York geht es um Rassismus – ein ebenso ernstes Problem wie die Willkür des Adels in Deutschland am Anfang der Neuzeit.

Es wäre dem Niveau von Kleists die Jahrhunderte überdauernder Novelle angemessener gewesen, die amerikanische „Kohlhaas“-Fassung zu spielen – sie liegt auf Deutsch vor und ist in Braunschweig 2015 erstaufgeführt worden. Der Aufwand, den das Deutsche Schauspielhaus treibt, ist enorm. Die Künstler hätten ihren Schweiß einem edleren Werk widmen sollen.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        Ulrich Fischer

Vorstellungen am  9. und 31.Dez.; 7. und 9. Jan., 10. und  26.Feb. – Dauer: 2 Std.