Dekonstruktion dekonstruiert

Herbert Fritsch am Ende? – Thomas Bernhards „Jagdgesellschaft“

HAMBURG.  Thomas Bernhard eröffnet seine „Jagdgesellschaft“ mit einem Dialog: Die Generalin (im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg: Angelika Richter) unterhält sich mit dem Schriftsteller (Bastian Reiber). Die beiden spielen absichtsvoll überdreht, das Markenzeichen des Regisseurs Herbert Fritsch. Es ist schwer, das Paar zu verstehen, es geht um den Tod, die Endlichkeit des Lebens: wie so oft bei Thomas Bernhard – um den Zerfall. Der General, der Gatte der Generalin, ist alt und todkrank.  Die Generalin und der Schriftsteller nähern sich, sind aber auch vorsichtig. Der Schriftsteller findet die Generalin wohl nicht zuletzt attraktiv, weil sie ein ungeheures Vermögen besitzt, das noch größer wird, wenn ihr Mann das Zeitliche segnet.

Die beiden unterhalten sich (am Flügel begleitet von Ingo Günther) im Salon einer Jagdhütte inmitten der unermesslichen Wälder (vom Borkenkäfer befallen, Achtung: Zerfall!), die einen Teil des Vermögens des Generalspaares bildet – Herbert Fritsch, der auch das Bühnenbild entworfen hat, setzt die Schauspieler in einen expressionistisch verzerrten Raum, im Zentrum ein riesiger, geradezu metaphysischer Ofen, der mehr an den Eingang der Hölle erinnert als an eine irdische Heizung. Wenn der Schriftsteller den Ofen berührt, verbrennt er sich. Wenn die Generalin den Ofen anfasst, verbrennt sie sich auch. Wenn das komisch sein soll, so wirkt es nicht – das Publikum lacht nicht. Auch nicht, als die beiden sich immer wieder verbrennen. Hat den Regisseur sein sicheres Gespür für Komik verlassen?

Später tritt der General auf – ihm fällt die Rolle des Antagonisten zu. Er hat zwar den Schriftsteller eingeladen, er will seiner Frau Unterhaltung bieten, aber er will gleichzeitig die Szene dominieren – auch im Bereich des Geistes. Das schafft er nicht, aber auch das wirkt nicht komisch.

Hier gerät der Regisseur mit dem Autor in Konflikt. Thomas Bernhard entfaltet eine komplexe Philosophie des Zerfalls – sie ist nicht zu verstehen, wenn die Protagonisten stimmlich ins Schrill-Verzerrte driften müssen. Und Bernhards Philosophie ist auch nicht komisch, sondern bedrückend – zumindest für alles, was Menschenantlitz trägt.

Das einzig Komische an diesem Abend ist, dass er nicht komisch ist. Es scheint, als habe Herbert Fritsch sein Pulver verschossen – früher sprühte er vor grotesken Einfällen, in Hamburg bleibt alles  mühselig und beladen, ohne dass das Zentrum erklärt wird.

Auch die Nebenfiguren helfen nicht wirklich weiter, obwohl Kostümbildnerin Cosima Wander Winter den Fundus geplündert hat. Der Prinz und die Prinzessin tragen mongolisch-koreanisch-japanisch-chinesische Märchenkostüme (und Masken),  Der Holzknecht, erkennbar an seiner scharfen Axt, erinnert wie andere an russische Gestalten vom Lande, 19. Jahrhundert.

Ensemble in den phantastischen Kostümen, die Cosima Wanda Winter entworfen hat – Foto: Matthias Horn

Ein bisschen erinnert das an Tschechow. Aber nur ein bisschen. Und der Unterschied ist groß und entscheidend.

Tschechow ist besser, viel besser. Und Thomas Bernhard besser als Herbert Fritsch. Bernhard dekonstruiert Fritsch: der Humor des Regisseurs erscheint in niederer Form: als Blödelei, Witzelei – nicht abendfüllend und meistens vom Unvermögen getragen, die dem Stück zugrunde liegende rabenschwarze Philosophie  zu verstehen. Warum das Deutsche Schauspielhaus die „Jagdgesellschaft“ heute spielt und dann noch in dieser Inszenierung – die Frage bleibt unbeantwortet. Das Beste: die Aufführung dauert nicht einmal zwei Stunden.

                                                                                  Ulrich Fischer

Vorstellungen am 15. und 23. 4.; am 5. und 21. 5.

Spieldauer:  1 Stunde und 40 Minuten (ohne Pause).