Empfehlung aus dem 14. Jahrhundert – echt

Romangold, fast 24 Karat

Obwohl Dirk Schümer  früher bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gearbeitet hat, hat er Humor – und noch erstaunlicher: Geist. Im Nachwort zu seinem neuen Roman „Die schwarze Rose“ behauptet  er, ein alter Hippy habe ihm bei einem Aufenthalt auf den Kanaren ein Manuskript zugespielt, das er schnell als Dokument aus dem 14. Jahrhundert identifizieren konnte, geschrieben von einem Dominikanernovizen.

Diese (offenkundig erfundene) Provenienzgeschichte, die den Roman begleitet, und einerseits an berühmte Vorbilder der Romantik erinnert, andererseits ein Seitenhieb auf die aktuelle Provenienzforschung ist und ihre interessengeleiteten, leicht durchschaubaren Narrative, gibt  dem Leser Hinweise, wie Schümer Fakten und Fiktion verwirbelt. Tatsächlich war Johannes XXII. Papst, tatsächlich residierte er in Avignon, tatsächlich gab es schon damals die Inquisition; die meisten der Figuren, die auftreten, haben 1328 gelebt und vor allem stritten tonangebende Theologen um die Frage, ob die Kirche, in Jesu Nachfolge, arm sein müsse oder reich sein dürfe. Der Papst, ein alter, fetter, gewissenloser Machtmensch, ein Schurke in Scharlachrot (noch heute trägt der Papst rote Schuhe), plädierte für reich und setzte seine Gegner, die meinten, Jesus sei arm gewesen, ins Unrecht, indem er sie verbrennen ließ.

Aber jetzt sind wir schon mitten in der Haupt-Geschichte. Und da mischt   Schümer leidenschaftlich Fabulierlust & gesicherte Überlieferung. Ein Spaß mit Tiefgang: denn es ist schwer bis unmöglich, genau die Grenze zu ziehen zwischen Tatsachenbehauptungen und Tatsachen: Schümer diskutiert erkenntnistheoretische Fragen – neben anderen philosophischen Problemen: Gibt es Gott oder nicht? Und wenn ja: angesichts des offensichtlichen Unrechts in der Welt – ein gütiger Gott ist nicht in Sicht. Da legt Schümer seinen Protagonisten eindeutig fest. Und macht auch Vorschläge, wie die Welt denn zu betrachten und zu deuten sei – diskussionswürdig.

Der fiktive Verfasser des Buches, das Schümer zugespielt worden sein soll, nennt sich Wittekind Tentronk.  Er ist/war Deutscher, und blickt, als er in Avignon ankommt, nicht durch. Während (indem) er mehr und mehr erfährt, erfährt der Leser mehr und mehr: dass im Katholizismus nicht Gott im Mittelpunkt der Verehrung und Unterwerfung steht, sondern der Klerus, der Papst vorneweg; dass nicht die Liebe angebetet wird, sondern das Gold. Dieser Enttäuschungsprozess – Ent – Täuschung im Wortsinn –  klärt Wittekind wie den Leser auf und ist äußerst schmerzhaft/lustvoll – ein Freund (von mir) schreibt: „Ich habe Die Schwarze Rose nach der Hälfte der Seiten zur Seite gelegt, denn ich finde das Buch sehr bedrückend, auch wenn es als historisches Dokument (s. Nachwort, stimmt das?) möglicherweise authentisch ist .“ Diese starke Wirkung  könnte auch in der Absicht    des Autors gelegen haben, Wittekind oder  Schümer – was heißt oder?: Und!

Das Buch ist eine Anklage, sie porträtiert des 14. Jahrhundert in Europa – Wittekind hat Erfahrungen am Ostrand des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gemacht, ist mit den Litauern gegen die Deutschen Ritter gezogen – dieser Roman ist ungemein reich. Dazu gehören musikalische Expeditionen und   saftige Liebesgeschichten.  Es gibt sehr schöne, verführerische Frauen – die schlimmste, klügste und intriganteste ist eine Sängerin, „Die schwarze Rose“, die dem Roman den Titel gibt – und mit Wittekind, wenn er nicht schrecklich renommiert, vögelt, dass die Rhône rauscht. – Epische Breite, Roman in des Wortes verwegenster Bedeutung, Totalität (also auch unser Jahrhundert) inbegriffen.

In der Überfülle liegt eine Schwäche, es gibt Längen, das Dénouement dauert, wird indes durch den Spaß im (und mit dem) Nachwort wieder aufgewogen –   der Roman ist nicht nur gut, er ist wundervoll. Das liegt nicht zuletzt in den Bezügen zu heute, die jeder Leser unschwer herstellen kann. Im englischsprachigen Raum wird eher als bei uns der historische Roman gepflegt, aber auch wo Deutsch gelesen und geschrieben wird, kann man Linien feststellen – Schümer steht mit seiner SaftundKraftProsa weniger in der Tradition Thomas (Josephstrilogie) und Heinrich Manns (Heinrich IV.)  als in der Lion Feuchtwangers. Er schreibt nicht für die Eliiiite, er ist massenkompatibel. Sowas drängt zum Drehbuch, zum Film (weniger zum Fernsehen, es gibt viele Bilder, die Breitwand brauchen, Cinemascope), zur Millionenauflage.  – Nicht zuletzt die subtile Heiterkeit, mit der diese üppige, über sechshundert Seiten dicke Schwarte geschrieben ist, eine Heiterkeit, die ihren Grund in Schümers Souveränität, in der Beherrschung der historischen Periode wie verschiedenster currenter Literaturtechniken findet, bringt mich dazu, Ihnen diesen Roman zu empfehlen, ziemlich uneingeschränkt – 98 Prozent!

23,5 Karat Romangold!

Ulrich Fischer

Dirk Schümer Die schwarze Rose Zsolnay, 663 S., 28,00 €, e-Book 20,99€.