„Genug ist genug“

John  von Düffel denkt nach

John von Düffel, kein Gramm Fett zu viel, wirkt wie ein Athlet. Ungewöhnlich bei seinem Beruf: Düffel hat Theaterstücke geschrieben, Dramen bearbeitet und übersetzt, Beiträge zur Dramaturgie geliefert und Romane verfasst; er ist Dramaturg am Deutschen Theater, Professor für Szenisches Schreiben an der Universität der Künste in Berlin – nur, wer sich zu konzentrieren weiß, kann so viel schaffen. Und dazu noch schwimmen wie ein Meister. John von Düffel ist ein Asket.

John von Düffel – Foto: © Birte Filmer

Ein Asket, Askese überhaupt, ist ein Hauptthema von Düffels neuem Buch „Das Wenige und das Wesentliche“ – kein Drama, kein Roman: ein „Stundenbuch“. Der alte, heute seltenst gewordene Begriff, strukturiert die 160 Seiten: das Stundenbuch beginnt an einem Neujahrsmorgen in Ligurien bevor die Sonne aufgeht, folgt dem Tageslauf und endet in der Nacht. Wie verbringt ein Asket seinen Tag, wie verbringt ihn John von Düffel, der gern und oft „ich“ sagt? Sich bekennt zu seinem Asketentum, seinen Gedanken, Verantwortung dafür übernimmt.

Der moderne Asket wird vom alten (christlichen) abgeschieden; der Unterschied zum Christen deutlich markiert, auch die Hedonisten unseres Zeitalters werden scharf kritisch umrissen genau wie die  Bewohner der virtuellen Welt.

Düffel formuliert seine Standpunkte unmissverständlich – sein Lieblingselement, auch als Poet, ist das Wasser – das Wasser des Stundenbuches ist kristallklar, ja rein. Dazu trägt bei, dass Düffel seinen Text dem Vers annähert – das führt zu Konzentration: Auf „das Wesentliche“. „Das Wenige und das Wesentliche“ ist ein glücklicher Titel.

Düffel gelingt die Quadratur des Kreises:   philosophische Probleme werden nicht nur verständlich, sie werden leicht & licht formuliert.   Die sprachliche Durcharbeitung verwandelt die Lektüre in Vergnügen. Beachtet Düffel die gesellschaftliche Dimension zu wenig? Wohl kaum, gäbe es mehr Asketen wie ihn und weniger Konsumidioten, wäre das ein Weg zur Lösung vieler Krisen.

Ich streiche, wenn ich ein Buch zur Rezension durcharbeite, gern Stellen an, die ich zitieren könnte oder möchte – hier sind es so viele, das es selbst mir auffällt. Ein Zeichen für das Gelingen. Düffel neigt zum Aphoristischen. Was halten Sie davon: „Es gibt keine materielle Befriedigung/Immaterieller Bedürfnisse/Nur die permanente Umwandlung/Von Frustration in Begehren“.

Als Dramaturg und Dramatiker hat Düffel in der Durchdringung der uralten Klassiker, vor allem der Griechen, Hervorragendes geleistet. In seinem Stundenbuch analysiert er unter anderen „Ödipus“ – von der Kindheit über seinen Triumph bis zu seiner schrecklichen Selbsterkenntnis und Blendung. Auch die Auseinandersetzung mit christlichen Lehren geht tief – z.B. Hiob wird Gegenstand ausführlicher Betrachtung.

Ich könnte noch so viel anführen. Jede Seite lesenswert – und das „Stundenbuch“ – schön und schlicht ausgestattet mit schwarzer Schrift auf gelbem Umschlag (mit gelbem Lesezeichenbändchen) – ist selbst im Regal noch ein leuchtendes Juwel…     Gedanken um Alter und Tod stehen am Ende. „Ich lege den Stift aus der Hand ….“ beginnt die letzte Beschreibung, die letzte Reflexion.

„Genug ist genug“.

                                                                                     Ulrich Fischer

John von Düffel: Das Wenige und das Wesentliche.  DuMont. 207 S.; 23,00 €.