Grauen

„Bro“  von Romeo Castellucci im Hamburger Thalia

HAMBURG. Romeo Castellucci (*1960) ist  Avantgardist. Der Italiener dringt in Räume des noch nicht Ausgesprochenen vor, steigt in Brunnen, die er noch tiefer gräbt, in die Vergangenheit, in das Unter- und Unbewusste. Er nutzt   Sprache,   Musik, Licht/Dunkelheit (chiaroscuro) und   Malerei, Plastik, ist vor allem aber Theatermann – das szenisch noch nicht Erforschte ist sein Feld.

Er wird weltweit anerkannt, bewundert und ist in den letzten Jahrzehnten immer wieder zu   großen Theaterfestivals eingeladen worden, bei uns in Deutschland zur Ruhrtriennale, in Frankreich zum Festival d’Avignon undundund; z. Zt hat er sich der Oper zugewandt. Die Reaktionen reichen von Beifall über Ratlosigkeit bis zur Ablehnung.

Mit seiner neuesten Produktion „bro“ gastierte Castellucci am Mittwoch in Hamburg, im Thalia Theater. „bro“ ist eine Schrumpfform von „brother“ – Brüder – die Brüder die auftreten verkörpern das Grauen. Sie tragen schwarze Uniformen, eine Mischung aus italienischen Faschisten (Mussolinis Epoche) und Sheriffs in Chicago – und sie schlagen zu. Die zentrale Szene ist unerträglich: ein Mann, das Opfer, wird entkleidet, auf den Boden geworfen – und aus dem Lautsprecher hört das Publikum das Klatschen der Schläge mit dem Stock, elektronisch verstärkt. Der Körper des Mannes wird von der Wucht der Schläge emporgeschleudert – aber das Publikum hört kein Wehgeschrei. Eine gespenstische, noch mehr eine höllische Szene. Später wird Waterboarding gezeigt.

Foto: Jean Michel Blasco

Die „bros“, die uniformierten Männer, werden von Hamburgern dargestellt, Laien, die nach kurzer Einweisung mitspielen. Sie tragen einen winzigen Empfänger im Ohr und bekommen Anweisungen, was sie tun sollen – sie stellen den Männerchor dar, der Gewalt ausübt.

Der Anblick der Folter wirkt schrecklich – jeder weiß, dass es gerade jetzt, in diesem Augenblick, wirkliche Folter in wirklichen Gefängnissen mit wirklichen Opfern gibt – „bro“ ist ein Stück, eine Szenenfolge gegen Gewalt.

Es gibt weitere Szenen, viele rätselhaft; einmal wird ein überlebensgroßes Foto vom Samuel Beckett auf die Bühne getragen – er gilt als Meister des Absurden, steht für die Tradition, in der „Bro“, in der Castelucci und seine Gefährten arbeiten – und für die Absurdität der Welt. Im Zusammenhang von Bro kann er auch verstanden werden als Unmöglichkeit, die Frage zu beantworten, wie die tierische Brutalität in die Welt gekommen ist – und wie es möglich ist, das „Bro“ über „Fraternité“, die Brüderlichkeit, noch immer, immer wieder obsiegt.

Die letzte Szene ist allerdings alles andere rätselhaft, sie spricht deutlich. Die Männer in   Uniform bilden rechts eine Gruppe, sie sind angetreten zu einem Ritual. Zwei Männer, Obere, Herren, tragen links feierlich einen Knüppel herein. In der Mitte, zwischen den Oberen und den einfachen Uniformierten, steht ein Junge in weißem Nachthemd, die Verkörperung der Unschuld. Die beiden Männer legen feierlich den Knüppel in seine Hände.

Sie übergeben, vermachen, sichern das Erbe.

In „bro“ lässt Castello Catellucci nur Männer auftreten. Ausschließlich.

                                                                                 Ulrich Fischer

Spieldauer: 1 Stunde 20 Minuten.