Todesangst und Suizid

Kafkas „Acht Oktavhefte“ im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg

HAMBURG. Thom Luz, ein junger Schweizer Regisseur, inszeniert am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Ältere Theaterfreunde denken bei den Stichworten Schweiz und Deutsches Schauspielhaus bestimmt an Christoph Marthaler – Marthaler hat dort und an anderen großen Häusern originelle Inszenierungen geschafft/en, die viel Beifall fanden und Maßstäbe setzten. Würde es Thom Luz (Luz = Licht?) schaffen, in Marthalers  Fußstapfen zu treten?

Luz  nennt seinen zweistündigen Abend „Die acht Oktavhefte“. Im Programmheft steht, Franz Kafka habe in acht Oktavheften Notizen hinterlassen, die er sich gemacht habe, um sie für Geschichten zu nutzen – von diesen Heften hat Luz sich für seinen Abend anregen lassen.

Er beginnt mit der riesigen leeren Bühne des Deutschen Schauspielhauses, nur rechts vorn steht ein Klavier, Daniele Pintaudi im Frack nimmt Platz und haut gekonnt in die Tasten, der Abend fängt schwungvoll an. Dann tragen elf Techniker (makellos, perfekt aufeinander abgestimmt, Bravo!) Versatzstücke auf die Bühne – sie erinnern an Sperrholz, an Kulissenersatz für die Probebühne – passen nicht recht zusammen, vor allem Türen. Luz unterstreicht am Anfang der Collage die Zusammenhanglosigkeit von Kafkas Notaten. Neu ist das nicht, die Exposition lehnt sich an bewährte Strategien des absurden Theaters an, die die Zusammenhanglosigkeit von Denken und Welt evozieren & illustrieren sollen.

Fünf Schauspieler treten auf; im Programmheft sind nur ihre Namen gedruckt, nicht, welche Rolle sie spielen; vielleicht auch Rollen (Plural), es kann sein, dass mehrere gemeint sind. Lars Rudolph dürfte der Protagonist sein, er verkörpert wohl unter anderem Kafka – weil ich es nicht genau sagen kann, schreibe ich künftig Kafka?.

Lars Rudolph als Kafka? vor dem Radio – Foto: Sandra Then

Ins Zentrum der letzten Szenen rücken Kafka? und (s)eine unglückliche Liebesgeschichte. Trotz aller Neigung kann er sich nicht entschließen, sich zu binden. Warum?

Thom Luz hat eine sonderbare, aber sprechende szenische Situation ersonnen: die Techniker haben ein großes Zimmer gezimmert (soll es das Innere des menschlichen Bewusstseins bedeuten, die Seele?), die Tür und das Fenster sind viel zu groß – die ver-rückten Dimensionen erinnern an den Surrealismus. Das Klavier wird an einen Haken genommen und an einem Tau emporgezogen, fast bis zur Portalhöhe – dort schaukelt es gefährlich. Kafka? hat das Seil um seinen Körper geschlungen, hält die schwere Last fest, ist gebunden; wenn er losließe, würde das Instrument auf den Boden krachen. Schließlich wird das schwere Instrument mit dem Seil vorn an der Rampe links fixiert, Kafka? kann sich jetzt frei bewegen, legt sein Bett, das zuvor mit seinen Sprungfedern als Instrument benutzt worden war, nun unter das schwebende Klavier, stellt neben das Bett einen Nachttisch, auf den Nachttisch eine brennende Kerze – und zwar genau so, dass die Flamme unter dem Tau züngelt. Es kann nicht lange dauern, bis das Seil anbrennt, das Klavier herabstürzt und den darunter schlafenden? Kafka? zerschmettert.

Gehört Kafka? zu den seltsamen Menschen, die aus Angst vor dem Tod Selbstmord begehen?

Das Bühnenbild ist karg, aber doch interessant durchkonstruiert, die akustische Kulisse – viele Choräle, geistliche, volkstümliche, aber auch Opernmelodien –  ist, wegen häufiger Wiederholungen, ein bisschen überstrapaziert und langweilig – aber die Schauspieler singen hervorragend: überhaupt, das Ensemble ist begeisternd, das Beste am Abend. Aber die Kafka?-Geschichte wirkt nicht wirklich interessant: Vor allem fehlt Humor, aber auch Souveränität, insbesondere bei der Auswahl der Musik –  so dass der Vergleich von dem Jungen und dem Alten zuungunsten des Jungen ausgeht.

Christoph Marthalers Schuhe sind für Thom Luz zu groß.

Ulrich Fischer

Spieldauer: 2 Stunden – Aufführungen am 4. und 17. März