Die Währung heißt Courage

John Grishams neuer Roman lohnt mal wieder die Lektüre

John Grisham bedankt sich im Nachwort zu seinem neuen Roman, der auf Deutsch „Feinde“ heißt, bei vielen Leuten und Freunden aus Mississippi, aus dem Süden der Vereinigten Staat – zu Recht: denn der Reichtum, der „Feinde“ zum Lesevergnügen macht, besteht vor allem in Geschichten.

©Michael Lionstar

Sie ranken sich um die Gegnerschaft zweier Jungs aus Biloxi (der amerikanische Titel lautet The Boys from Biloxi), die 1948 als Söhne kroatischer Einwanderer das Licht der Welt erblicken – einer wird Gangster, der andere Staatsanwalt. Zu Anfang sind sie Freunde, später entwickeln sie sich zu Gegnern, Feinden. Kolportage? Könnte man meinen, wenn man die Fabel weiter verfolgt: Einer könnte verantwortlich sein, dass der Vater des anderen in die Luft gejagt wird, der andere will, dass sein Freund in der Gaskammer sein Leben aushaucht.

Am besten sind die Geschichten um Alkohol und Prostitution, die lebensprallste Figur ist ein Sherriff. Er ist korrupt, kauft sich mit den munter einströmenden  Dollars der Zuhälter, Puffmütter, Hehler und sonstiger ehrenwerter Mitbürger,  die Leute, die er braucht, um das Recht zu beugen, Mitbürger umzubringen oder sonst eben das zu tun, was ein Sherriff so den lieben langen Tag macht. (Wenn er mal gerade nicht mit seinen Kumpanen säuft, es sich an pittoresken Seen gut gehen lässt und die nächsten Schandtaten mit seinen Spießgesellen plant  & abspricht.)

John Grisham spaßt nicht, er parodiert nicht, er beschreibt das System der Korruption, wie es funktioniert. Im Detail.

Spannend wird es, wenn schließlich Gegner auftauchen und versuchen, den gleichgültigen Staatsanwalt abzulösen und, selbst im Amt, gegen die Käuflichen und ihre Drahtzieher vorzugehen. Das ist durchaus möglich, funktioniert, Grisham beschreibt detailgenau wie – und er weiß auch, welcher Preis gezahlt werden muss: Die Währung heißt Courage. Die Gangster lassen sich nicht lumpen, und der erste Staatsanwalt, der Vater, bekommt eine Bombe ins Büro. Der Sohn Staatsanwalt will Vergeltung und lässt nicht locker. Er kämpft mit den Waffen des Rechts.

Ein schwergewichtiges Plus des Romans ist die Ausfaltung des amerikanischen Rechtssystems – was Bea Reiter und Imke Walsh-Araya   an Übersetzungsarbeit leisten, verdient Respekt. Sie kennen sich aus und führen uns Leser*innen  mit Sachverstand.

Der Showdown ist ein Meisterstück – das Ende kommt unerwartet.

John Grisham beschreibt das Böse, das Grausame, das Verbrechen, das man, auch wenn man es versteht, vor allem und zuallererst bekämpfen sollte. Es ist schwer, die Bewertung von Grishams Figuren zu relativieren – der unglaubliche Egoismus und die Rücksichtslosigkeit, mit der sich die Verbrecher durchsetzen und bereichern – sie sind wohl auch seinen Leser*innen bekannt. Vielleicht deshalb scheint es im Roman folgerichtig, die Todesstrafe nicht rundweg abzulehnen. Grisham meint nicht, sie schrecke ab, Grisham ist überzeugt, dass Schurken sie verdienen. Vergeltung. Alttestamentarisch. Höchst provokativ – und sicher vorgetragen. Überzeugend argumentiert.

Auch, wer die Südstaatler aus europäischer Perspektive für reaktionäre Hinterwäldler hält, findet Widerspruch:  Grisham lässt in seinem Roman das historische Subjekt nicht aus dem Blick: Das wahlberechtigte Volk – das u.a. auch Bezirksstaatsanwälte ins Amt beruft. Die Wähler geben zunächst dem Vorgänger unseres Helden ihre Stimme, der keinen Ärger will und deshalb den korrupten Sherriff unbehelligt lässt. Aber dann wechselt das Volk doch seine Haltung, geht mit unserm Helden ins Risiko, und als der nach spektakulären Erfolgen im Kampf gegen die skrupelloseste Gang spektakulär umgebracht wird, bekommt dessen Sohn das Mandat. Das hört sich alles erfreulich vernünftig an – folgt der Leser der Auffassung Grishams, funktioniert die Demokratie – trotz einiger Einschränkungen – im Grunde doch. Ooooh!, möge Grishams Optimismus sich als begründet erweisen! – schließlich kennt er ja die Südstaatler besser als wir – er ist ja selber einer und wohnt und lebt mit ihnen zusammen.

Die Washington Post schrieb, Grishams Werk werde immer kraftvoller und tiefgründiger.

Stimmt.

                                                                                     Ulrich Fischer

John Grisham  Feinde. Roman. 544 S., 24.00 Euro. Aus dem Amerikanischen von Bea Reiter, Imke Walsh-Araya