Ein Antikenprojekt

Anspruchsvoll!

Das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg ist ehrgeizig: ein fünfteiliges Antikenprojekt stellt das renommierte Theater in den Mittelpunkt der Spielzeit. Karin Beier, die Intendantin, schreibt: „Die Stadt Theben steht im Zentrum … Zusammen mit dem Schriftsteller Roland Schimmelpfennig haben wir uns an ein Experiment gewagt, und den umfangreichen Mythenkreis um Dionysos, Laios, Ödipus, Iokaste und Antigone, der die Gründung und die Geschichte dieser antiken Metropole beschreibt, zu einer fünfteiligen Serie unter dem Titel ANTHROPOLIS bearbeitet.“

Roland Schimmelpfennig

Schimmelpfennig hat sich mit seiner Vielzahl von Schauspielen,  Stückaufträgen und Uraufführungen in aller Welt, von Hamburg und München über Tokio und Havanna bis  Heidelberg und  last but not least Berlin empfohlen und z.B. mit den „Bacchen“ auf einen Schwerpunkt seines Dramenschaffens hingewiesen: Bearbeitungen.

Lina Beckmann als Agaue – Foto: Monika Ritterhaus

„Dionysos“ stellt Roland Schimmelpfennig einen Prolog voran; das eigentliche Drama beginnt der Stückeschreiber wie Euripides mit einem Auftritt von Dionys. Schimmelpfennig aktualisiert die Sprache gegenüber landläufigen Übersetzungen radikal; wichtiger als das Versmaß ist ihm der Inhalt: Dionys behauptet, ein Gott zu sein. Um die Legitimität seiner Abkunft und damit seines Herrscheranspruchs zu unterfüttern, behauptet er, sein Vater sei Zeus, der oberste der Götter. Er weitet, wie bei Euripides, seinen Stammbaum aus und erklärt, er sei nach Theben gekommen, um auch den Thebanern zu beweisen, dass er ein neuer Gott sei:

„DIONYSOS
Hinter mir liegt eine unsichtbare Spur:
Überall auf dem Weg
habe ich meine Feste eingeführt,
die Musik, den Gesang, die Trommeln, die Tänze –
und jetzt werde ich auch hier in Griechenland
den Menschen zeigen, was ich bin:
ein neuer Gott!“ (S. 4 f.)

Damit sind  der Gegensatz und der Konflikt mit Pentheus begründet, dem König von Theben: Pentheus bestreitet Dionys den göttlichen Rang. Wie bei Euripides unterliegt Pentheus. Der König, neugierig, welche Feste die Frauen feiern, verkleidet und versteckt sich, um sie „heimlich zu beobachten!“, wird entdeckt und zerrissen.

Schon in der Vorszene macht Schimmelpfennig klar, dass es ihm auf Verständlichkeit  ankommt – er übersetzt nicht nur aus der fremden Sprache, sondern auch aus der weit entfernt liegenden Epoche, dem anderen Kulturkreis.  Gleichzeitig unterstreicht Schimmelpfennig die Bedeutsamkeit der uralten Tragödie für unsere Gegenwart: Pentheus‘ Feindseligkeit gegen Dionys ist ideologisch begründet; Schimmelpfennig schärft noch die Züge des Königs als autoritärer Herrscher, der den Frauen vorschreiben will, wie sie zu leben haben. Es liegt nahe, etwa an den Iran zu denken.

Opulente Inszenierung

Schimmelpfennig lässt aus, was entbehrlich erscheint, keine überflüssige Szene, kein unnötiges Wort – und hat so ein konzentriertes Stück geschrieben – das Karin Beier, der Regisseurin, offenbar zu karg erscheint. Sie lässt Kinder auftreten; einen wundervollen Schimmel, der Schweif zu einem Zopf geflochten; und für das geheime Gravitationszentrum des Stücks, den Überfall der Bacchen auf Pentheus, den Herrscher, der sie belauscht, hat sie sich etwas Spektakuläres einfallen lassen: 21 Trommlerinnen und Trommler treten mit ihren exotischen Instrumenten auf und beschwören die blutigen und orgiastischen Geheimnisse des bacchantischen Festes, in dessen Verlauf Agaue ihren Sohn, Pentheus, zerreißt, weil sie wähnt, er sei ein Löwe.

Die Trommelei dauert zu lang und ist des Guten zu viel – gar nicht nötig, die Opulenz steht im Widerspruch zur Schlichtheit des alten Textes wie der Bearbeitung Schimmelpfennigs. Ausgeglichen wird diese effekthascherische Ausschweifung durch das Ensemble: Herausragend Kristof Van Boven als Pentheus – Boven spielt den Tyrannen als eleganten, eiteln Fant, der nichts von Menschen versteht und als Herrscher völlig fehl am Platz ist – ein Schönling, wegen seiner Dummheit mit komischen Zügen; und Lina Beckmann als Agaue, Pentheus Mutter. Das Publikum liebt Lina Beckmann, weil sie eine Komikerin von Graden ist – aber sie meistert auch schwierigste tragische Aufgaben: als Agaue die Augen aufgehen, sie erkennt, dass sie keinen Löwen sondern ihren Sohn zerrissen hat, zeigt Lina Beckmann das erschütterte und erschütternde Erschrecken, das Entsetzen und den Umschlag in den Wahnsinn, als ihr klar wird, dass es ihr Sohn ist, den sie bestialisch ums Leben gebracht hat.

Es geht weiter …

Die Fortdauer des Vergangenen im Heute findet sich nicht nur im Dionysos, sondern auch in anderen griechischen Dramen. Das ist mutmaßlich ein Beweggrund für das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg, den neu zu schaffenden griechischdeutschenthebanischhamburgischen  Fünfteiler aufzuführen.  Die Intendantin wirbt: „Von Anfang an war Theben gebaut mit Wehrhaftigkeit, Kunst und Kriegskunst. Mauern mit sieben Türmen, die eine feste Grenze zwischen Stadt und Welt setzen, die Tendenz, sich abzuschließen im eigenen Reichtum und sich selbst als ewig zu denken – so einzigartig Theben war, vieles davon findet sich unter anderen Parametern heute wieder.“

Auch wenn der Auftakt nicht ganz gelungen ist: er weckt Interesse am Fortgang des ehrgeizigen Projekts. In zwei Wochen folgt der zweite Teil: „Laios“.

                                                                                                     Ulrich Fischer

Internet: www.schauspielhaus.de