Die Sprache des Regens – Roman von Roland Schimmelpfennig
Roland Schimmelpfennig rückt eine Frau in den Mittelpunkt seines ersten Romans „Die Sprache des Regens“ – Maria. Am Anfang der Handlung wird Maria festgenommen, am Ende kommt sie nach langer Zeit frei. Innerhalb dieses Rahmens beschreibt Schimmelpfennig die Gesellschaft, in der Maria lebt.
Maria ist Juristin; sie hat als Anwältin gearbeitet, verlor aber ihre Lizenz und arbeitete anschließend als Lehrerin – ihre Geschichtslektionen stoßen bei einigen Eltern auf Skepsis, weil sie Geschichte und Geschichten gern miteinander mischt, wie der Autor, der sie ersonnen hat. Marias Fabulierlust wird nur von der Schimmelpfennigs übertroffen.
Sie und ihre beiden Schwestern sind hochbegabt: eine ist Dolmetscherin, eine andere Ärztin. Die drei Schwestern (!) kommen aus proletarischen Verhältnissen. Obwohl der Vater kaum genug zum Leben verdiente, konnten sie wegen ihrer herausragenden schulischen Leistungen studieren, wie auch ein Junge aus der Nachbarschaft – er ging nach dem Examen zur Polizei – und er ist es, der Maria verhaftet. Sein Motiv lässt Schimmelpfennig im Unklaren – doch er legt die Vermutung nahe, dass Eifersucht und die Missbilligung der liberalen Haltung Marias eine Rolle spielen.
Offenbar leben Maria, ihre Familie und ihre Mitbürger in einer Diktatur – es ist unmöglich, für die Angehörigen herauszubekommen, warum Maria im Gefängnis sitzt. Es gibt keine konkreten Anschuldigungen und sie hätte längst freikommen müssen, da keine Anklage erhoben wird. Die Lage ist ähnlich wie in Kafkas „Process“. Der Beschreibung der Lage wie der Orientierungslosigkeit einfacher Menschen kommt Schimmelpfennigs oft genutzte ästhetische Strategie entgegen: die Aussparung. Weder der Leser noch die Figuren des Romans können wissen, wer die Fäden zieht, wer die Herrschaft konstruiert hat und aus ihr Nutzen zieht. „Die Sprache des Regens“ wird hier keine Abhilfe schaffen: „… der Weg war schwer zu finden, vor allem in den Feldern. wo alles gleich aussah und es keine Richtungsschilder gab.“ ( S. 170)
Viele Geschichten vieler Familienangehöriger, Freunde und Zeitgenossen Marias ranken sich um diesen Hauptstrang – aber es gibt niemanden, der sich gegen die haarsträubende Willkür ernsthaft wehrt. Einmal wagen die einfachen Leute so etwas wie einen Aufstand – aber da geht es nur um die Schließung eines Kinos – und auch die wird nicht rückgängig gemacht.
Einschübe über die Sprache der Dinge, „Die Sprache des Regens“ (Titel), des Windes oder der Steine sind lyrische Ausflüge, aber auch sie geben keinen Aufschluss. Sie heben die Stringenz der Handlung auf, unterbrechen – Hinweise auf den Verlauf der Geschichte in Marias Stadt und Viertel.
Die Schilderung der Unfähigkeit der Bürger, meist Handwerker, sich vorzustellen, was zu tun wäre, um die Freiheit zu verteidigen, steht im Vordergrund. So nett, liebenswürdig sie sind, so unbedarft sind sie in politischen Dingen. Guter Sex, viel Alkohol, ab und zu ein Fest – damit geben sie sich zufrieden.
Am Ende des Buches, wenn Maria zurückkehrt, hat Schimmelpfennig eine unbefriedigende Situation skizziert: politische Unterdrückung und politisch Unterdrückte, die von ihrer Situation keinen Begriff haben und weit entfernt sind, Strategien zu entwerfen, die sie befreien könnten.
Schimmelpfennigs Verlag gibt an, der Autor lebe in Berlin und Havanna. Vielleicht beschreibt Schimmelpfennig die Situation der Kubaner – die Unterstützung intelligenter Kinder aus proletarischen Familien, die Möglichkeit für sie zu studieren, die Unterdrückung freiheitlicher Regungen weisen darauf hin – aber mitunter entsteht der Eindruck, es könnte ein abstraktes Modell geschildert werden, das, mutais mutandis, auch auf andere Länder zutrifft.
Die Ausweglosigkeit der Situation ist einerseits bedrückend, andererseits wirkt sie realistisch – eine fundamentale Änderung, eine wirkliche Befreiung scheint unwahrscheinlich.