John Grishams neuer Roman „Die Entführung“
John Grishams neuer Roman, auf Deutsch „Die Entführung“, lohnt, trotz einiger Längen, mal wieder die Lektüre. Können Sie sich noch an Mitch erinnern? Er ließ, zu Anfang von Grishams atemberaubender Bestsellerautor- und Justizkritiker-Karriere, seine korrupte (Anwalts)Firma hochgehen. Mitch ist inzwischen, wie sein Schöpfer, unheimlich erfolgreich gewesen und bei einer riesigen Anwaltsfirma in New York in einflussreicher Position gelandet. Grisham exzelliert im Vergleich des geschmackssicheren Luxus dieser Justizfabrik mit elenden Kanzleien auf dem Land, die an der Grenze zum Konkurs dahinsiechen. Grisham kennt dieses Feld wie kein anderer.
Mitch muss wieder ran, eine Kollegin ist entführt worden – offenbar von gut organisierten Terroristen, die eine unvorstellbare Summe fordern. Der größte Spaß des Romans besteht darin, Mitch und seinen Helfern dabei zu folgen, Dollars zusammenzukratzen, während sie die Terroristen herunterzuhandeln versuchen.
Was würden Sie machen, wenn sie in relativ kurzer Zeit hundert Millionen zusammenbekommen müssten?
Grisham zeigt: Das ist gar nicht so einfach (Wer hätte das gedacht?) und findet einen wunderbaren Dreh, der ihn da landen lässt, wo er am stärksten ist: bei der Kritik der amerikanischen Justiz. Als es brenzlig wird, wendet sich Mitch an seine Firma. Die ist nämlich auch reich – aber nicht unermesslich. Der Verwaltungsrat, gerissene und geriebene Anwälte, muss sich zusammensetzen und (mit einfacher Mehrheit) entscheiden, ob die Firma einen substanziellen Beitrag leistet, um das Lösegeld zusammen zu bekommen. Da müssten die Herren an ihren Pensionsfond gehen, vielleicht erlöst der Einzelne dann die ein oder andere Million weniger, wenn er (weniger sie) in den wohlverdienten Ruhestand geht. Aber wiegen solche Bedenken nicht leicht angesichts der Notwendigkeit, die Kollegin aus den Klauen der gewissenlosen und entschlossenen Terroristen zu befreien?
Solidarität – was bedeutet das für Anwälte, die zu den erfahrensten amerikanischen, den besten der Welt gehören? Was sagt der Egoismus, was die Solidarität? (Was Güte, was Edelmut? Prinz von Homburg).
John Grisham spitzt zu. Es ist mal wieder ein Vergnügen, ihm zu folgen, wenn er hinter die spiegelnden Fassaden der eindrucksvollen Wolkenkratzer New Yorks blickt, wo er entdeckt, dass Recht und Schäbigkeit gleich neben Prunk, Renommiersucht und Geiz hausen.
John Grisham schreibt sonnenhell und kristallklar, sonnenhell und kristallklar übersetzen Imke Walsh-Araya und Bea Reiter.
Ulrich Fischer