Selina Fillingers „Schattenpräsidentinnen“ im Schauspielhaus Hamburg
HAMBURG. Der Untertitel der „Schattenpräsidentinnen“ ist aussagekräftig: „Hinter jedem großen Idioten gibt es sieben Frauen, die versuchen, ihn am Leben zu halten“. Selina Fillinger, die mit diesem Stück am Broadway reüssierte, dürfte in der politischen Wirklichkeit der Vereinigten Staaten Anregungen gefunden haben für ihre Idee, ein Präsident könne ein großer Idiot sein. Sie musste nicht stark übertreiben.
Das Ensemble besteht aus sieben Damen: der Büroleiterin, der Pressechefin, der Sekretärin und der First Lady, der schwangeren Geliebten des Chefs aus der Provinz und seine aus der Haft entlassenen Schwester mit Drogenproblemen sowie einer investigativen Journalistin. Es gibt laufend Konflikte, vor allem, weil die junge, schwangere Geliebte den Präsidenten sehen will – was die anderen zu verhindern wissen. Jede strebt nach dem größten Einfluss, statt Schwesterlichkeit herrscht gnadenlose Konkurrenz.
Selina Fillinger ist Amerikanerin und sie kennt ihre Landsmänninnen – sie sind prüde. Es gehört sich nicht, unanständige Dinge zu sagen, und frau vermeidet anstößige Wörter. Wenn frau allerdings in einem dunklen Raum sitzt und unanständige Wörter hört, darf frau kichern – es sieht ja niemand. Diese Heuchelei beutet Selina aus – das erste Wort heißt „Fotze“ – es folgen noch vieleviele Obszönitäten. Die Schauspielerinnen machen sich einen Jux daraus und Claudia Bauer, die Regie führte, hatte eine Menge szenischer Ideen. Ein Beispiel für viele: eine Schauspielerin schnallte sich einen künstlichen Riesenbusen vor die Brust und setzte Saufnäpfe darauf, wie man sie benutzt, um verstopfte Toiletten zu entstopfen. Es kann gar nicht grob genug hergehen – und tatsächlich wurde auch bei der Uraufführung viel gelacht im Deutschen Schauspielhaus. Dazu trugen Maske und Kostüm (Vanessa Rust) ihr gerüttelt Maß bei, die Damen sahen bei aller Individualität uniform aus: mindestens ein Meter hoch toupierte Haare, angeklebt mit einer Tonne Haarspray, Kleider mit weit ausgestülpten Hüften. Vielleicht wäre etwas weniger Übertreibung besser gewesen, aber die Ideen wirkten originell. Allein die Schuhe!!!!
Bei der Fülle und Stärke der Derbheiten ging indes mitunter das Ziel des Witzes unter, Selina Fillinger schreibt: „Es geht um Menschen, die Mitschuld tragen, weil sie bestimmte patriarchale Verhaltensweisen und Systeme weißer Vorherrschaft unterstützen“ – und das tun alle Damen im Vorzimmer des Präsidenten. Sie werden an den Pranger gestellt, dem Gelächter preisgegeben. Sie tun alles um vorwärtszukommen, ihre Ellenbogen sind atombombenbewehrt. Ungewöhnlich und schön, dass bei einer Feministin Ziel der Kritik nicht Männer, sondern die lieben Schwestern sind. – Selina Fillinger fasst ihre Ästhetik prägnant zusammen: “Ich bin eine Frau der einfachen Vergnügungen. Ich will fröhliche Revolution, zärtliche Anführerinnen, ruppige Kunst.“
Das mit der ruppigen Kunst ist ihr schon mal gelungen.
Ulrich Fischer
Vorstellungen am 30. April; 5. und 11. Mai – Dauer: 2 Std.