Brechts „Puntila“ im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg
Das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg blickt auf eine überragende Spielzeit zurück – die Bühne wurde von Kritikern zum „Theater des Jahres“ gewählt – ein Fünfteiler von Roland Schimmelpfennig über die europäische Theaterantike um Ödipus brachte Lob von der Kritik und Erfolge an der Theaterkasse, Anerkennung beim Publikum bis zu lautem Jubel – und Karin Beier, die Intendantin, die Regie beim Antiken-Projekt führte, kann mehr als nur zufrieden sein. Jetzt übernahm sie beim ersten Stück der neuen Spielzeit wieder Regie, sie inszenierte Bertolt Brechts einziges Volksstück „Herr Puntila und sein Knecht Matti“.
Der Prolog tritt vor einem verkommenden Hof auf, Bühnenbildner Johannes Schütz betont, wie heruntergekommen Puntilas Gut ist, er erzeugt eine lausige Atmosphäre. Im Prolog heißt es gleich eingangs: “ … die Zeit ist trist./Klug wer besorgt, und dumm, wer sorglos ist!/Doch ist nicht überm Berg, wer nicht mehr lacht/Drum haben wir ein komisches Spiel gemacht.“
Karin Beier legt in ihrer Inszenierung das Gewicht auf Tristesse und Sorge, die Komik tritt in den Hintergrund. Sie macht auch klar, warum: weil der Klassengegensatz, den Brecht Anfang der Vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts, als er vor seinen deutschen nationalsozialistischen Verfolgern in Finnland Zuflucht suchte, herausarbeitete, heute wieder fröhliche Urständ feiert. Matti, als Chauffeur, ist Knecht, muss trotz heller Intelligenz dienen; Puntila bleibt Herr, obwohl er ein denkbar schlechter Chef ist – er säuft zu viel. Joachim Meyerhoff spielt (s)einen Puntila, der nicht zuletzt zur Flasche greift, weil er selbst unter dem Klassengegensatz leidet – er sucht Freunde, kann aber keine finden, alle fürchten ihn wegen seines Besitzes und seiner damit verbundenen Macht.
In einem Volksstück müsste am Ende eine Hochzeit stehen. Puntila bahnt sie zwischen seiner Tochter und Matti, seinem Chauffeur, an – das wäre ein Ziel, auf Innigste zu wünschen. Endlich die Aufhebung des Klassengegensatzes.
Karin Beier hat eine szenisch ebenso verblüffende wie überzeugende Idee, die dieses herrliche Ziel geistreich ins Bild umsetzt. Lilith Stangenberg, die Eva(!), Puntilas Tochter, verkörpert ist eine blendend schöne Schauspielerin. Sie tritt unbekleidet auf – das Versprechen wunderbarer Vereinigung – zumal mit Matti, dem Knecht – Kristof Van Boven muss als Matti ebenfalls unbekleidet auf die Bühne, er wedelt verheißungsvoll mit seinem imposanten Gemächt.
Schade, dass die beiden nicht zusammenkommen: das ist die zentrale Botschaft dieses Volksstücks. Und wäre es nicht wunderschön, wenn sie wenigstens in Zukunft zusammenkämen? Das drückt offenbar diese neue Inszenierung aus. Das Publikum spendete langen, heftigen Applaus – vielleicht will es ja auch diese Hochzeit, diese Vereinigung von unten und oben.
Zumindest ein Teil der Zuschauer.
Ulrich Fischer
Weitere Aufführungen: 27. 9.; 3., 10. und 14.10. – Spieldauer: 3 Stunden
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