Literatur pur

Moritz Rinke hat verstreute Aufsätze gesammelt

 

Moritz Rinke ist unverwechselbar. Seine Theaterstücke, sein Roman haben einen bestimmten Ton – seine journalistischen Tagesarbeiten auch. Von denen hat er in seinem jüngst erschienenen Bändchen einige gesammelt – nicht alle sind es wert, aber doch die überwiegende Zahl.

 

Bei den ersten Geschichten wirkt die naive Haltung, die Rinkes schreibendes Ich einnimmt, wie eine fadenscheinig gewordene Masche, aber dann packt es den Leser: Geschichten, in denen Rinke aufzählt, wie viele Skandale in letzter Zeit aufgedeckt und in den Zeitungen verwurstet wurden – schon wieder vergessen. Die Kritik am Journalismus, unausgesprochen, trifft: Wir lassen uns von Sensationen unterhalten, aber es geschieht nichts.

 

Die Fülle der Informationen überfordert uns. – Rinke ist prominent, er wird überall hin eingeladen. Wenn er von seinen Erfahrungen als Juror bei Berlins Filmfestspielen erzählt, verliert man den Glauben nicht nur an ein gerechtes Juryurteil, sondern auch an die Filmfestspiele selbst. Zuviel Luxus, zu viele Dinners, zu viele Cocktails, zu viele Filme. Zu viel Kommerz, er ertränkt den Sinn der Filme.

 

All das geschrieben aus der Perspektive des Blauäugigen, Rinke gibt sich als „Narr“. Das ist manchmal unterhaltsam, manchmal geht es (inzwischen) auf die Nerven. Aber zum Schluss des 213-S.-Bändchens überwiegt Melancholie – man kann nichts tun, Rinke konstatiert Lähmung. In Istanbul aber sieht er einen Silberstreif am Horizont, den Aufstand der Bürger gegen die Regierung, die ihnen ihren Park wegnehmen will. Rinke spricht von 68. Während die meisten seiner Generation (Rinke ist 67 geboren) 68 übel bewerten, sieht er hier Licht, Aufbruch, Dynamik. Seine Analyse ist eindeutig: Wir hier unten haben die Kontrolle über unsere Demokratie verloren; DIE DA OBEN machen, was sie wollen und wissen auch nicht, wo es lang gehen sollte außer Selbstbereicherung. So geht es nicht weiter. Wir müssen uns unsere guten, von den Vätern wohl erworbenen Rechte zurückerobern. – Rinke ist besser als alle Journalisten. Die blähen sich auf und tun, als seien sie wirkmächtig, könnten eingreifen, wo sie in Wirklichkeit ohnmächtige Betrachter des Geschehens sind. Gockel, die meinen, die Sonne gehe auf, weil sie krähen. Rinke ist ehrlicher, seine Haltung mehr als nur Pose. Seine geglückten journalistischen Arbeiten haben einen ästhetischen Überschuss: Literatur pur.

 

Der paradox wirkende Titel des Bändchens ist ebenso treffend wie trefflich gewählt: „Erinnerungen an die Gegenwart“!

Ulrich Fischer

 

Moritz Rinke: Erinnerungen an die Gegenwart. Köln 2014 (KiWi), 213 S. kosten 8,99 €.