Krieg und Frieden, Subversion und Camouflage

Krieg und Frieden, Subversion und Camouflage

Umjubelt: Guillermo Calderóns „Kuss“ in Düsseldorf uraufgeführt

 

DÜSSELDORF.  „Kuss“ ist ein kritischer Dreiakter,  klug konstruiert: Im ersten Akt wundern die Zuschauer sich über eine triviale Geschichte – eine Frau zwischen zwei Männern. Im zweiten Akt meinen die (fiktiven deutschen) Spieler übers Internet mit der Verfasserin aus Syrien zu sprechen – und erfahren, welche Botschaften in dem Stück verborgen sind. Die Protagonistin hustet? Das bedeutet in Syrien, sie wurde Opfer eines Giftgasangriffs. Die (fiktiven deutschen) Schauspieler meinen, mit der Autorin zu sprechen? Die ist längst tot. Das (fiktive deutsche) Ensemble denkt, es sei mit dem Libanon verbunden – wirklich? Mit einem Flüchtlingslager. Wo? Schweigen. Und mit wem reden sie, mit der Schwester der Autorin? – Wer weiß, besser nicht fragen. – Guillermo Calderón ist ein ebenso politisch-scharfsinniges wie unterhaltsames und humorvolles Stück  geglückt.

 

Calderón (43), bei uns (bislang) nur Kennern ein Begriff, gilt in seiner Heimat Chile als profilierter politischer Dramatiker – zu Recht. Sein Stück erschüttert das Bewusstsein des Publikums. Die Mutmaßung, alles sei, wie es scheint, ist naiv – das ist eine Hauptaussage des Stücks. Der Schein trügt! Gerade in Kriegszeiten.

 

(Im Konzentrationslager erwarten Häftlinge eine Delegation des Roten Kreuzes. Sie müssen so tun, als wäre alles in bester Ordnung, sonst nehmen die Peiniger blutige Rache, wenn die Delegation abgereist ist. Wie  können die Gequälten dennoch darauf hinweisen, was hier wirklich los ist? Die Häftlinge halten die Zeitung, die sie bekommen haben, um Normalität vorzutäuschen, verkehrt herum, mit dem Kopf nach unten. Werden die Delegierten den Hinweis verstehen? Oder werden sie sich von den Offiziellen täuschen lassen?)

 

Im dritten Akt wird wieder die Seifenoper angespielt, der erste Akt variiert – der Zuschauer sieht die Szenen mit ganz anderen Augen. Er ist aufgewacht, wie Dornröschen nach dem „Kuss“ des Prinzen, sucht nach subtilen Hinweisen, Andeutungen. Was will uns der Verfasser oder die Verfasserin sagen? Welche Nachricht muss verborgen werden, wie kann man subversive Hinweise, erkennen, entschlüsseln? Was bedeutet Camouflage, was Subversion heute?

 

Das sechsköpfige junge Ensemble spielt engagiert. Es ist immer wieder ein ganz besonderer Spaß, wenn Schauspieler Schauspieler darstellen – Selbstkritik inclusive.  Calderón, der auch Regie führt,  präpariert in seiner Uraufführungsinszenierung den Prozess der Bewusstseinsschärfung bei den Schauspielern, die das syrische Spiel in Deutschland aufführen, heraus –  damit einher soll, so die didaktische Komponente des politischen Spiels,  die   Bewusstseinsschärfung des Publikums gehen. Gleichzeitig ist der „Kuss“ eine   witzige Kritik an jenen banalen Liebesgeschichten,  mit denen das Fernsehen sein Publikum – uns – beständig & systematisch unterfordert. Scharfsinn und Wachsamkeit gegenüber den Medien sind geboten, nicht nur in Zeiten des Krieges, auch hier und heute.

 

Das Düsseldorfer Schauspiel hat das Stück in Auftrag gegeben – eine glückliche Entscheidung. Guillermo Calderón hat schon einmal in Düsseldorf ein Stück vorgestellt;  der Meister aus Südamerika ist, sei es als Dramatiker, sei es als Regisseur, ästhetisch wie politisch ein Zugewinn, sein „Kuss“ ein Kleinod.

 

 

Ulrich Fischer

 

Aufführungen am 16., 25. und 30. März; 5., 11., 15., 26. und 28. April.

Spieldauer 85  Min.

 

Kartentelefon: 0211 36 99 11 –  Internet: www.duesseldorfer-schauspielhaus.de