Trübe(r)

 

Mülheimer Theatertage sind nur noch ein Schatten ihrer selbst

 

Mülheim an der Ruhr. Der wichtigste Wettbewerb im deutschen Schauspiel ist der für die Dramatiker – die Mülheimer Theatertage sind einst vom internationalen Theaterinstitut der UNESCO für ihr Konzept ausgezeichnet worden – konsequent transparent. In den letzten Jahren aber ging es in Mülheim bergab, in dieser Saison, der 39. ihrer einst glänzenden Existenz,  brannten die wenigen verbliebenen Lampen   trübe(r).

 

Unter der Leitung von Udo Balzer-Reher (seit 1992), einem Verwaltungsmann, verloren die Dramatikertage bereits kontinuierlich an Ausstrahlungskraft; in diesem Jahr wurde er durch seine ehemalige Pressesprecherin ersetzt, Stephanie Steinberg – eine eklatante Fehlbesetzung. Sie dankte am Ende der Theatertage in einer nicht enden wollenden Suada all jenen, die zum Gelingen der Theatertage beigetragen hatten, gratulierte en passant dem Preisträger, und verlor sich in den Untiefen des Bieder-Betulichen.

 

Sie vermochte nicht ansatzweise, das Potential der Theatertage zu repräsentieren oder auch nur sichtbar zu machen. Sie dankte den Juroren – und vergaß die Stückeschreiber. Dabei zeigte das Programm eine ungewöhnliche Breite, eine bemerkenswerte Vielfalt in Themen und Formen. Vergleicht man das Innovationspotential der Filmfestspiele in Berlin oder des Oscar-Wettbewerbs mit Mülheim – so hat Mülheim unendlich mehr zu bieten. Deutschsprachige Dramatiker geben sich nicht mit vorgefundenen Mustern zufrieden, exploitieren sie nicht zum xten Mal, sie überwinden die Schranken: Die Gedanken sind frei. Die Phantasie an der Macht!

 

Dieses kreative Potential steht in schreiendem Widerspruch zum medialen Echo – das beschränkt zu nennen eine Untertreibung wäre. Während ausführlich über die Tiefe des Ausschnitts der Roben namhafter Schauspielerinnen im fernen Hollywood berichtet wird, gibt es kaum eine Zeile über Rebekka Kricheldorf und ihre paradoxalen Witze über die Selbstausbeutung von Zeitgenossen, die die Entfremdung überwinden möchten und sich ihr auch noch im privatesten Bereich ausliefern und lustvoll unterwerfen.

 

Es käme darauf an, diesen Schatz an Schöpferkraft den vielen Freunden der performativen Künste zugänglich zu machen. Doch das Gegenteil geschieht. Stephanie Steinberg sah sich im ersten Jahr als Leiterin mit einer schweren Hypothek belastet. In den Vorjahren hatte Gerhard Jörder, ein Theaterkritiker und Publikumsfreund, die das Festival begleitenden Gespräche belebend moderiert – und nicht nur die Künstler zum Sprechen gebracht, sondern auch einen Austausch mit dem Publikum befördert. Welche Lücke Jörder hinterließ wurde an seinem Nachfolger deutlich, Tilmann Raabke. Der Dramaturg kann nicht erklären, geht über die Köpfe der Zuschauer hinweg und stellt sich in einem Maß selbst dar, wie es eigentlich nur Schauspieler dürfen und der Bundespräsident. Selbstkontrolle fehlt. Es gelang ihm, beim letzten Publikumsgespräch einen Austausch nach einer Frage eines Zuschauers vollends abzuwürgen. Er moderierte auch noch die Jurydebatte und brachte einen Teil des Publikums gegen sich auf, weil er eingriff – obwohl er kein Juror ist. Er verteidigte sich, er habe nicht interveniert – unfähig zur Selbstkritik.

 

Raabke scheint wie Stephanie Steinberg überfordert, das wichtigste Schauspielfestival des Jahres so zu präsentieren, dass es, seiner Bedeutung entsprechend, wahrgenommen wird. Die Lampen brennen trübe im Theater an der Ruhr. Deutsche Bühnen geraten immer mehr an die Peripherie – Mülheim, wie es sich selbst präsentiert durch ungeschickte Personalauswahl, stellt einmal mehr unter Beweis: selbstverschuldet.

Ulrich Fischer

Internet: www.stuecke.de