Aufgeblasener Unsinn

Aufgeblasener Unsinn

Pinar Karabuluts „Drei Schwestern“-Inszenierung ein Triumph der Albernheit

Von Günther Hennecke

Köln – Sie sind gebildet und begehrenswert. Was Wunder, dass sie in der russischen Provinz versauern – und vom fernen Moskau träumen. Von der Großstadt, die für alles steht, wonach sie sich sehnen. So liest man das nicht nur bei Anton Tschechow. Man taucht auch ein in eine ebenso nach Schönheit wie Weltläufigkeit strebende Adelsschicht. Dekadenz lauert gleichwohl im Hintergrund. Auch das kein Wunder bei Tschechow, der das Stück 1900 geschrieben hat. Also keine zwei Jahrzehnte vor einer Revolution, in der nicht nur eine ganze Gesellschaftsschicht untergehen sollte. Sie sollte die Welt verändern.
Depperte Männer neben aufgeplusterten Frauen
Es sind „Drei Schwestern“, die es nur deswegen in die Provinz verschlagen hat, weil Papa als Brigadegeneral ins weit entfernt von Moskau liegende Nichts versetzt worden war. Da ist Olga, die Lehrerin; daneben Mascha, verheiratet mit einem borniert-hochnäsigen Gymnasiallehrer; und Irina, der auch nichts mehr droht als die Rolle als Lehrerin an der Grundschule. Neben und um sie herum bewegen sich Männer, die nicht einmal fähig sind, Träume zu haben.
Stumpfe Welt voller Albernheiten
Dass Tschechows Drama einen ganzen Honigtopf voller Melancholie vor sich herträgt, ist nur eine Seite der Geschichte der drei vor Sehnsucht dahinschmelzenden Frauen. In ihm ist aber auch eine Menge Humor verborgen, ja köstliche Komik. Doch was macht Pina Karabuluts Inszenierung daraus? Eine billige, geradezu skandalöse Selbstbefriedigung-Aktion. Tschechow wird von ihr in eine stumpfe Welt voller Albernheiten gestürzt. Auf Teufel komm raus kippt sie ein Drama der Weltliteratur in ein Stück billigen Theater-Klamauks.
Armes Theater wird erbärmlich
Die sich in Depot 1 des Kölner Schauspiels einfindende Gesellschaft ist  einfach nur krank. Wenn auch nicht ganz so krank wie diese Inszenierung. Arm will sie sein, konzentriert und packend, doch sie ist nur zum Fürchten. Denn statt arm ist sie nur ärmlich. Wer seinen Tschechow zudem nicht irgendwie kennt, der versteht eh meist nur Bahnhof. Auch das ein Weg, Theater zum Schreckensort verkommen zu lassen.
Aufgeblasen als Motto des Abends
„Aufgeblasen“ könnte das Motto des Abends sein. Denn nicht nur erscheinen, ganz zu Beginn und direkt ins Publikum sprechend, die Schwestern als ihre eigenen Karikaturen. Sie sind einfach nur albern herausgeputzt. Olga (Susanne Wolff), mit exakt dem gleichen hellblonden Bubikopf ausgestattet wie ihre Schwestern, steckt in einer riesigen ballonartigen Pumphose. Obelix lässt grüßen. Nur ist der komischer, vor allem authentisch. Schwesterchen Maschas (Yvon Jansen) knallroter Steppmantel, der bis zu den Füßen reicht, erinnert an einen Schlafsack; und Irina (Katharina Schmalenberg) hat zwar, im erkennbar russischen Winter, oben herum, mit Fell und dicker Jacke, alles gegen die Kälte getan. Dass sie im weißen kurzen Röckchen, zudem ohne Schuhe auf Strümpfe in dieser Kälte daherkommt, ist wohl einer besonderen Logik verpflichtet.
Hüpforgien auf raumgroßen Luftmatratze
Kaum hat man sich, wenn auch mit der Faust in der Theater-Tasche, an den farbig blühenden Kostüm-Unsinn Theresa Verghos gewöhnt, folgt tatsächlich – ein „Bühnenbild“. Und mit ihm wird’s, aufgeplustert und aufgebläht von Bettina Pommer, erst richtig lustig: Eine riesige Luftmatratze wälzt sich auf die Spielfläche.
Große Hopserei auf viel Luft
Auf ihr hopsen, springen, überschlagen sich alle Tschechow-Figuren. Manchmal sogar im gleichen Takt. Nichts als Luft haben sie unter den Füßen. Außer dem das Drama als Drama einigermaßen erkennbar machenden Wolf-Dietrich Sprenger als Arzt Chebutykin kann man keine der übrigen Figuren, ob bucklig oder immer wieder albern krächzend, als Menschen-Darsteller ernst nehmen. Wer was ist, wird zudem zum kaum lösbaren Fragespiel. Kurz: Logik, Empathie oder einfach nur nachvollziehbares Theater: Fehlanzeige.
Brüllende Hampelfrauen und Hampelmänner
Wo sich, wie in dieser Inszenierung, die Figuren zudem meist nur anbrüllen, besser: ihre Brüllorgien direkt ins Publikum richten und zu Hampel-Frauen und Hampel-Männern eingeschrumpft werden, hat die Menschlichkeit, hat der Mensch verloren. Das Theater sowieso. Was Olga ziemlich zu Anfang glaubt zu wissen, dürfte einem großen Teil des Publikums schon früher als nach drei Stunden ziemlich klar sein: Nämlich dass „wir schon bald erfahren werden, …, wofür wir leiden.“ Sinnlos leiden, könnte man hinzufügen.
Schauspiel Köln, Depot 1; Aufführungen: 17., 28. Oktober; 7., 16. November; www.schauspielkoeln.de