Wenn Theaterbilder Welten schaffen

Robert Borgmann inszeniert Hans Henny Jahnns „Medea“ bildkräftig am Schauspiel Köln

Von Günther Hennecke

Köln – Man glaubt ihn zu kennen: den Typ Frau, die, zutiefst verletzt vom Mann ihres Lebens, aus rasender Liebe zur Mörderin wird – und selbst die eigenen Kinder zu opfern bereit ist. Anlass ist der Verrat des Mannes an ihrer Seite, der sie verlässt, um sich in die Arme einer anderen, möglichst jüngeren Frau zu stürzen. Was alles nichts nutzt, wird schließlich doch  auch sie, eine Fremde zudem, auf dem Altar des Fremdenhasses geopfert. 

Statt Euripides Hans Henny Jahnn

„Medea“ heißt diese Frau bei Euripides. „Nach“ dem griechischen Klassiker, so die ursprüngliche Planung, wollte das Schauspiel Köln Medeas tragisch-blutige Lebensgeschichte auf die Bühne bringen. Doch dann geriet die „Medea“-Paraphrase eines (fast) neuzeitlichen Autors ins Blickfeld der Theatermacher – Hans Henny Jahnns „Medea“-Fassung von 1926, uraufgeführt in Berlin.

Das Problem ewiger Jugend

Bei Jahnn ist die „Fremde“ auch noch eine „Negerin“, die wahrlich alles opfert, die Bindung an ihr Volk und die Familie, um ihre Liebe zu Jason zu leben. Um dessen Leben zu retten, hat sie sogar ihren eigenen Bruder gemordet und zerstückelt. Dass sie selbst, eine geheimnisvolle Magierin, altert und grau wird, während Jason, dank Ihrer magischen Zauberkräfte, ewig jung bleibt, macht Jahnns Fassung nicht gerade „lieblicher“. Sich aus jeder Vernunft zu verabschieden und den Trieben zu folgen, führt bei ihm unweigerlich in die Katastrophe

.Ein Sarkophag als Metapher

Robert Borgmanns ebenso bildkräftige wie symbolträchtige Inszenierung führt uns gleich zu Beginn hinein in den Kern der Tragödie. Mit einem ebenso einfachen wie eindringlichen Bild: Hinter einer bühnenbreiten Gaze, unter einer weit ausholenden Bogenbrücke aus zahllosen Neonleuchten, steht ein einfacher Tisch. Wie verloren sitzen an ihm eine Frau und zwei Kinder. Wenig später erhebt sie sich schweigsam und trägt die nun leblosen Körper zu einem silberschimmernden Sarkophag, öffnet ihn und lässt sie darin verschwinden. Eine kurze, aber eine eindrucksvolle Metapher für alles, was noch folgt: Medea legt ihre von ihr später selbst ermordeten Söhne (Marek Harloff und Kristin Steffen) zu Grabe. Nur wenig später entsteigen sie, beide mit weißblonden Haaren, wieder dem Sarg und werden zu Akteuren im Tragödien-Spiel um den Betrug an ihrer Mutter.

Nicht erfüllte Liebesnacht

Doch ehe es soweit kommt, schleppt sich Medea (Melanie Kretschmann) in einem überlangen schwarzen Kleid in die Szene. Klagend, anklagend, am Boden zerstört. Musik, mal anschwellend, mal stakkatohaft ins Bild und Gehör dringend, begleitet die szenischen Lösungen. Noch ist, noch scheint alles im Lot. Die sich ins Bild schleppende Medea erhebt sich schließlich, wirft alle Trauer von sich, und vertraut auf Jasons (Astrid Meyerfeldt) Versprechen: „Erwarte mich diese Nacht“.

Verbannung einer Barbarin aus Kolchis

Doch Medea wartet vergeblich – und die Tragödie nimmt ihren Lauf. Schneller und tiefgreifender als zuvor. „Aus der Einsamkeit gerissen“, wie sie sich erlebt, gerät sie ins Fadenkreuz der Fremdenhasser – und die Königstochter aus dem asiatischen Kolchis wird aus Griechenland verbannt. Fantastisch-skurrile Bilder begleiten sie auf diesem Weg, die der pathetisch–expressionistischen Sprache Jahnns bestens entsprechen. Einer der szenischen Höhepunkte des Abends ist zweifellos die Szene, in der Medea aus dem Mund des blinden Boten (Max Mayer) König Kreons von ihrer Verbannung erfährt.

Ein Blinder hat das zweite Gesicht

Sieben junge Frauen fügen zuvor, in einer minutenlangen fast kultischen Aktion, Fichtenzweige zu einer Art Kreuzweg zusammen. Wenn Medea mit nackten Füßen später auf ihnen wandelt, erinnert ihr Weg an einen Opfergang. Ehe König Kreons Bote sie vom Verbannungs-Urteil informiert. Ein Blinder, der gleichwohl das zweite Gesicht hat und damit ins Innere der menschlichen Seele blicken kann: Wie zum Beweis trägt er, neben seinem realen Gesicht, eine Maske. Wie übrigens auch die Amme (Sophia Burtscher) , deren Gesicht gleich verdreifacht erscheint – wie ein zu beiden Seiten aufgeklapptes Portrait. Fünf Brüste lassen zudem unübersehbar Bild werden, dass sie die nährende Mutter ist.

Zauber und Verirrung des Theaters

Es sind diese und fast zu sehr in Langsamkeit versinkende Szenen-Folgen, die vom Zauber des Theaters künden, aber auch die Gefahr des Sich-selbst-Genügends in sich bergen. Zudem bleiben erhebliche Vorbehalte. Warum, zum Teufel, müssen Frauen sich in Männer-Rollen versenken. Warum darf Jason nicht Jason sein? Was bringt die Geschlechter – Verwandlung außer Verwirrung?

„Panta rhei“ – alles fließt ins Unverbindliche

Nach der Pause verliert sich Borgmanns Bild-Welt zusehends ins Esoterische. Der verzweifelt-schöne Tanz einer einsamen Frau vor der nun zu einer grell leuchtenden Neon-Wand verwandelten Lichtbogen-Brücke lässt an den Anfang von Medeas Verlorenheit als Verstoßene denken. Schwach erleuchtete Video-Projektionen auf dem nun wieder eingezogenen Gaze-Vorhang, wirken wie  Blicke in ein längst verlorenes Leben, in dem die Kinder noch lebten. Dabei verliert sich die Inszenierung in einer Scheinwelt, die dem brutalen Spiel einer Tragödie diametral zuwider läuft – und am Ende Jahnns wortgewaltiges Stück ins Leere laufen lässt.
Der Schlussapplaus klang dann auch zurückhaltend. Eher freundlich-verwirrt als begeistert. Von denen, die nicht schon zur Pause dem Depot 1 des Kölner Schauspiels Lebewohl gesagt hatten.

Aufführungen: 25., 28. April; 9., 10. Mai; 3 Stunden inkl. Pause; www.schauspielkoeln.de
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„Medea“Nach Hans Henny Jahnn
Premiere: 12.4.2019Regie und Bühne: Robert BorgmannKostüme: Bettina WernerMusik: Robert Borgmann und Tom MüllerLicht/ Video: Carsten RügerTanz/Choreographie: Claudia Ortiz Arraiza
Fazit: Ein dank seiner vielen eindringlichen Szenen und Bildern beeindruckender Abend – wenn auch mit einigen unverständlichen Brüchen.