Kriegsgetöse im Paradies

 

Sebastian Baumgarten bringt Dantes „Göttliche Komödie“ auf die Bretter des Kölner Schauspiels

 

Von Günther Hennecke

 

Köln – Sie gelten als Europas Größte: Johann Wolfgang von Goethe und Dante Alighieri. Ein halbes Jahrtausend europäischer Geistesgeschichte trennt die beiden. Und als wäre die Welt innerhalb dieser Jahrhunderte auf den Kopf gestellt worden, gehen sie völlig entgegengesetzte Wege. Während Goethes Faust „Vom Himmel durch die Welt zur Hölle“ wandert, steigt Dante, zusammen mit Vergil, in der „Göttlichen Komödie“ aus der „Hölle“ durchs „Fegefeuer“ ins „Paradies“.

Hohes Lied auf die Liebe

Auf 400 prallgefüllten Seiten, in über 14.000 Versen, breitet der anfangs 35 Jahre alte Italiener zwischen 1300 und 1320, bis ein Jahr vor seinem Tod, sein „Poema Sacro“ aus, singt in seiner „Divina Commedia“ das Hohe Lied auf die reine, die wahre Liebe. Doch ehe seine ganz und gar nicht „komödiantische“ Wanderung dieses Ziel erreicht, durchwatet er mit Roms großem Klassiker Vergil einen tiefen Sumpf menschlicher Schwächen, Verrat und Sündhaftigkeit. Alles mit Blick auf die gesamte Menschheit, aber auch alles aus christlicher Weltsicht – auf dem Weg ins Paradies.

Bedrohliches Getöse

Doch während das Oktett der Darsteller in Sebastian Baumgartens Bearbeitung (mit Jens Gross) des großen Stoffes im Depot 1 des Kölner Schauspiels am Ende der großen Wanderung bedächtig ein Liedchen trällert, überdeckt ein zunehmend bedrohlich wirkendes Getöse den Frieden, wird laut und lauter, bis es zu einem ohrenbetäubenden Kriegslärm angewachsen ist. Dem Paradies Dantes misstraut die Inszenierung zutiefst.

Emotionale Höchstleistung

Weshalb aber wagt sich Baumgarten dann überhaupt an dieses Meisterwerk der Poesie? Die Antwort liegt nahe: Die Commedia ist ein weit ausgreifendes Werk voller Bilder, schreit geradezu nach Sinnlichkeit und theatralischen Effekten. Dem werden Bearbeitung und Inszenierung auch lange gerecht. Ohne abgegriffene Höllenschlund-Klischees zu bedienen, entwickelt Baumgarten mit seinen lediglich acht Akteuren zunächst eindringliche Szenen. Schlemmer und Geizhälse, Verräter und Sünder aus Leidenschaft, Selbstmörder und Ketzer werden Bild, begleitet von einem Dante, dem Guido Lambrecht emotionale Höchstleistungen abverlangt.

Flammender Raum der Hölle

Breit gefächert ist Thilo Reuthers zweistöckiges Bühnenbild. Im Untergeschoss befindet sich ein perspektivisch grandios in den Hintergrund gezogener Raum, der mal angsteinflößende Tiefgarage, mal ein von Flammen gefüllter Höllenraum ist. Darüber, durch einen Gang verbunden, verschiedene Räume. In einem geht eine Hure ihrem Geschäft nach. Ausgerechnet in der Wohnung, in der Dante einst mit seiner Beatrice lebte, die der heimkehrende Soldat nun wiederzusehen hoffte.

Vergil verlässt Dante

Kaum ist die Hölle verlassen, in der Lautstärke und Intensität, oft bis an die Grenze getrieben, vom unheilvollen Ort für die Verfluchten Zeugnis ablegten, breitet sich Langeweile aus. Anlass für Vergil, aus Dantes Leben zu verschwinden. Das Purgatorium, das Fegefeuer der Christen, ist für den antiken Römer eine fremde Welt. Doch „Was ist mit der Liebe, der wahren Liebe?“, ruft Dante dem Scheidenden hinterher. “Der Wille wählt frei, richtig und gut. Sein König aber ist dein Herz“, weiß der große Vergil, und verlässt die Bühne der Welt.

Der Beifall war höflich und endenwollend.

Aufführungen: 16., 18., 21., 22., 24. April; 17., 24. Mai; Karten: 0221-221 28 400; 2 ¼ Std. ohne Pause; www.schauspielkoeln.de