Engagement und Resignation

Engagement und Resignation

Elfriede Jelineks „Am Königsweg“ im Schauspielhaus Hamburg

 

HAMBURG.    In ihrem Stück „Am Königsweg“ beobachtet Elfriede Jelineks, Österreichs Nobelpreisträgern, Könige – aus dem klassischen Altertum, aus Mythen und aus der Gegenwart. Falk Richter beginnt seine Inszenierung blutig;   Hinweise auf Ödipus werden mit dem Ausstechen der Augen mehrfach angesprochen – Grausamkeit ist das Signum der Könige und Blindheit: erst wenn sie erblinden, werden sie sehend. Ein zweiter Mythos ist nicht weniger grausam, er stammt aus dem Alten Testament: Gott fordert von Abraham, seinen Sohn Isaak zu opfern, zu verbrennen.

 

Elfriede Jelinek steht den Königen, der Macht kritisch gegenüber und verweist auf die Rücksichtslosigkeit von Herrschaft. Dieses Thema steht im Mittelpunkt des arg langen, über dreistündigen Abends, es wird variiert und vor allem optisch behandelt: Videofilme mit Flammen und Blut, mit Ausschnitten aus Bildern alter Meister, mit entsetzlichen  Bürgerkriegsskizzen von Goya bilden den Hintergrund (das üppig-chaotische Bühnenbild hat Katrin Hoffmann entworfen, Video: Michael Auder und Meika Dresenkamp); sechs Schauspieler stellen verschiedene Figuren dar – wobei es vor allem um den Verlust von Qualität und Niveau geht, aber auch um Vorurteile und Hass.

 

Der zweite, kürzere Teil ist konzentrierter als der erste. Falk Richter spürt der Frage nach, was es bedeutet, dass Trump Präsident wurde und vielleicht bleiben wird – nicht nur einen Niveauverlust, sondern die Hinwendung zur Idealisierung des jungen weißen Mannes, zu einer faschismusähnlichen Ordnung, zur Wiederaufrichtung der weißen Vorherrschaft. Hakenkreuze flimmern über den Bühnenhintergrund.

 

Eine ganz besondere Rolle hat Falk Richter Ilse Ritter zugewiesen. Die alte Diva, eine der ganz Großen des   Schauspielhauses, des deutschsprachigen Theaters überhaupt, verkörpert Elfriede Jelinek. Sie reflektiert über das Thema ihres Stücks, über Könige und Macht, im zweiten Teil aber auch über das Alter und den nahenden Tod. Was hat sie erreicht? Sie ist skeptisch- eigentlich nichts. Schon heute scheint ihr   vergessen, was sie gesagt, was sie auf ihrer Kanzel, dem Theater, ihrer Gemeinde gepredigt hat. Die Kunst – vergeblich. Auch wenn das Theater ein – ihr – „Königsweg“ ist, so führt er doch ins Nichts – trotz aller Virtuosität, trotz  allen Engagements -, denn er verlegt den Königen ja nicht, wie die Dramatikerin wünscht, den Weg zur Herrschaft, zu Grausamkeit und Blutvergießen. Ilse Ritter verleiht Elfriede Jelinek eine resignative, eine tragische Aura – die ergreifendste schauspielerische Leitung dieses Abends, das mit einem leistungsfähigen Ensemble glänzte.

 

Vielleicht hätte die Aufführung etwas kürzer, konzentrierter sein können – sehenswert ist sie in hohem Maße.

Ulrich Fischer

 

Nächste Aufführung am 15. 12. – Spieldauer: ca. 3 1/2  Stunden.