Theaterwochenende an der Alster

Zwei sehenswerte Uraufführungen im Schauspielhaus und im Thalia

 

HAMBURG. „Rimini-Protokoll“ ist der Name eines Künstlerkollektivs, das mit theatralen Mitten versucht, der Wahrheit näher zu kommen, als es der Bühne mit herkömmlichen Mitteln möglich war/ist. Und es klappt – auch jetzt wieder im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg bei der Uraufführung von der „Welt-Klima-konferenz“.

 

Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel, die Regisseure, die sich hinter dem Namen „Rimini-Protokoll“ verbergen, haben Spezialisten zum Thema Klimawandel ausgesucht und befragt. Die Spezialisten ließen sich ins Joch einer Theaterform spannen, sie durften nicht ellenlang über ihr Thema – Wetter, Ökonomie, Ozean usw. – referieren, sie mussten sich auf das Allerwichtigste in allgemein verständlicher Form beschränken und bekamen Gelegenheit, ihre Thesen – konzentriert bis zur Essenz – vorzutragen – vor dem Publikum im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg.

 

Tua res agitur – Es geht um uns

 

Wir, die Zuschauer, spielten mit. Wir schlüpften in die Rolle von Delegierten der Klimakonferenz, ich wurde z.B. Delegierter von Andorra – und bekam Gelegenheit mich im Lauf des Abends zu informieren, um am Ende zu entscheiden, abzustimmen, was wir tun sollten, um die Erderwärmung in den Griff zu bekommen.

 

Das war wahnsinnig anstrengend, weil laufend Informationen auf einen niederprasselten, die man verarbeiten sollte/musste, und machte gleichzeitig Spaß. Am Ende hatte man nicht nur viele Neues erfahren, auch wenn man vorher meinte, schon viel über die Gefahr zu wissen – das Thema war auch vertieft, wichtige Zusammenhänge erhellt. Prof Dr. Hartmut Graßl z.B. machte klar, dass er hoffe, selbst wenn die nächsten Klimakonferenzen ohne greifbare Ergebnisse zu Ende gingen, dass das Problem gelöst werde. Wenn es gelinge – und das sei wahrscheinlich – Strom aus erneuerbaren Energien (vor allem Sonne) zu erzeugen, der billiger sei als der aus Kohle, Öl oder Gas, dann sei das Problem gelöst. Weil dann die Sonne die fossilen Energieträger schon allein aus Kostengründen aussticht.

 

Die Stellungnahmen der Experten waren alle interessant – nicht zuletzt, weil die Form, der Zeitdruck sie zwangen, kein überflüssiges Wort zu sagen. Wichtig war die politische Dimension, die den Druck erzeugte, die Interessen des eigenen Landes mit dem gemeinsamen Ziel, die Erderwärmung zu stoppen, in Übereinstimmung zu bringen. Wir Zuschauer gewannen Verständnis für die Schwierigkeiten der Politiker.

 

Wüste Erde

 

Vielleicht die theatralischste Szene hatte mit Hitze zu tun. Wir wanderten von Termin zu Termin im ganzen Schauspielhaus herum und landeten schließlich auf der Bühne. Wir mussten uns auf Notbetten legen, die Augen schließen und Kopfhörer überstülpen. Eine Wetterprophetin flüsterte uns in die Ohren, wie unerträglich heiß es in den nächsten Jahrzehnten in unsern Breiten werden würde, während die Drehbühne zu rotieren begann. Vom Schnürboden hing eine gigantische Konstruktion aus über 30 starken Scheinwerfern herab – ein Bild für die Sonne. Anfangs war das angenehm warm. Als das Licht zu gleißen begann, wurde es unangenehm heiß, ein Hauch von Wüste wurde spürbar. Das blüht uns (und unsern Kindern), wenn wir beim Nichtstun verharren. – ­ „Rimini-Protokoll“ ist wieder ein bemerkenswerter Abend geglückt, das Deutsche Schauspielhaus hat mit „Welt-Klimakonferenz“ ein Juwel im Repertoire.

 

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Das gilt für die „Deutschstunde“ im Thalia nicht. Siegfried Lenz wusste genau, warum er die „Deutschstunde“ als Roman und nicht als Schauspiel geschrieben hat. Auf dem Theater quälte sich der Text (Bühnenfassung: Dramaturgin Susanne Meister) über anderthalb von den zwei Stunden Spielzeit hin. Johan Simons knüpfte in seiner Uraufführungsinszenierung an Lenz‘ Schlichtheit an – aber es wurde eine kunstvolle, mitunter gar gekünstelte Schlichtheit – und das ist ein Widerspruch in sich. Die Schauspieler waren gut – brillant mal wieder Jens Harzer. Er spielte Jens Ole Jepsen, den Polizeiposten Rugbüll – anders als im Roman steht der Alte im Mittelpunkt, nicht der Junge.

 

Zum autoritären Charakter

 

Die Verschiebung erwies sich als treffsicher. Der Roman erschien 1968, also noch vor der Studentenrebellion. Und der nachdenkliche Roman von Lenz erinnert daran, dass nach dem Krieg so viele alte Nazis Nazis blieben.  Nicht nur das – die andern ließen es sich gefallen. Die (un)heimlichen Nazis kehrten in ihre alten Stellungen zurück, die alten wurden die neuen Autoritäten. Niemand wehrte sich wirklich und mit durchschlagendem Erfolg. Im Programmheft ist ein Aufsatz von Erich Fromm über den autoritären Charakter (1957) abgedruckt – genau darum geht es.

 

Die 68er haben diesem Begriff zur angemessenen Bedeutung verholfen – aber das Problem nicht wirklich gelöst. Es dauert an – bis heute. Daran erinnert die „Deutschstunde“ 2014 im Thalia – und da übernimmt sie das kritische Erbe von Siegfried Lenz. Es ist eine Ehrung des kürzlich Verstorbenen, eine unbequeme Erinnerung, die die Aufführung, trotz ästhetischer Einwände, sehenswert macht.

 

Dieses Theaterwochenende an der Alster war ertragreich.

 

Ulrich Fischer

 

Rimini-Protokoll (Schauspielhaus) am 5. und 12. Dez. – Spieldauer: 3 Std.

Kartentel.: 04024 87 13 – Internet: www.schauspielhaus.de

 

Deutschstunde (Thalia) am 25. Nov.; 3., 21. und 26. Dez. – Dauer: 2 Stunden

Kartentel.: 040 32 81 44 44 – Internet: www.thalia-theater.de