Dramatikerin rät der Jugend zum Klauen

Dea Loher verspricht mit dem Titel ihres neuen Schauspiels nicht zu viel: „Gaunerstück“ ist wirklich ein Gaunerstück. Es geht gut aus.

BERLIN. Maria und Jesus Maria sind Zwillinge, noch keine zwanzig. Die beiden haben erst ihren liederlichen Vater, später ihre schwer arbeitende, trunksüchtige Mutter verloren, wie wir, die Zuschauer, in einer etwas zu lang geratenen Exposition erfahren. Schwer arbeiten bringt nichts, deswegen überlegen die beiden, wie sie einen Juwelierladen ausrauben können. Als Maria den Ort ihres geplanten Verbrechens ausbaldowert, wird sie schwach, und lässt einen Ring mitgehen.

Sie meint, der Besitzer habe sie beobachtet, aber nichts geschieht. Nach einigen unwahrscheinlichen Zusammentreffen, bei der die Dramaturgie vernehmlich knarr(z)t, nimmt der Juwelier Kontakt mit Maria auf und schlägt ihr und ihrem Bruder vor, einen Überfall vorzutäuschen. Gesagt, getan – obwohl einiges schief läuft, kommt alles in die rechte Bahn: die Geschwister können, unbehelligt von Verfolgern, ihre Beute nach Antwerpen bringen. Jetzt müssen sie nur noch einen Hehler finden, bei dem sie das erbeutete Gold verticken können.

Dea Loher erzählt die Geschichte so, dass einem niemand leid tut: Der Juwelier ist zwar tot, aber er ist rasch an einem Herzinfarkt gestorben, hat nicht gelitten; seine Witwe dürfte von der Versicherung hinreichend saftig entschädigt werden – und die Versicherung anzuschmieren, damit unsern netten Zwillingen genug Kohle für einen soliden Lebensstart in den Schoß fällt, das ist das wenigste, was wir hoffen können – Loher hat ihre Geschichte punktgenau so konstruiert, dass die Sympathie der Zuschauer ganz den Geschwistern gehört. Es fällt schwer, in ihrer „Gaunergeschichte“ nicht die unverhohlene Aufforderung der Dramatikerin an eine ihrer Perspektive beraubten Jugend zu sehen, getrost ein bisschen kriminell zu werden. Mit einem Gran Glück und gesunden Nerven lohnen sich Diebstahl und Raub. Dea Lohers Ton ist heiter wie noch nie, ihre Didaxe unterscheidet sich vom alltäglichen Tatort: Crime pays.

Verharmlosung

Dem Subversiven weicht Alize Zandwijk in ihrer Uraufführungsinszenierung im Kammerspiel des Deutschen Theaters in Berlin am Donnerstag aus. Sie gibt Körpertheater viel Raum, Tanz und auch Gesang. Beppe Costa spielt Porno-Otto, eine Nebenfigur, und singt zu Herzen gehend, sich auf der Gitarre begleitend. Die Regisseurin aus Rotterdam versucht, der inneren Realität ihrer Figuren gerecht zu werden und verliert sich zu oft in Lyrismen, packt zu wenig das Elend der Geschwister. Thomas Ruppert, der Ausstatter, zeigt eine ganz andere Pranke – Hauptelement seines Bühnenbilds sind hohe Mauern, deren Farbe abblättert. Der Raum verrottet. Zwei Fenster sind so hoch angebracht, dass niemand hinaussehen kann.

Alize Zandwijk verdoppelt die Zwillinge, es spielen je zwei Damen Maria und zwei Herren ihren Bruder, ein Paar vom Deutschen Theater, eines vom Ro-Theater Rotterdam, Zandwijks Bühne, die das „Gaunerstück“ mitproduziert hat. Ästhetisch ist die Verdoppelung unnötig, aber sie stört auch nicht sonderlich.

Dea Loher ist mit ihrem „Gaunerstück“ ein spielens-, ein sehenswerter, ein humorvoller und über weite Strecken kurzweiliger Text geglückt, die Uraufführung zeigt ihr Gespür für das Szenische, die Bühne. Mit dem gesellschaftskritischen Zugriff der „Dreigroschenoper“ oder von „Bezahlt nicht“, mit Brecht oder Dario Fo kann sich Dea Loher freilich nicht messen – obwohl sie eine der besten deutschsprachigen Dramatikerinnen ihrer Generation (*1964) ist.

Die Alten Meister bissen besser.

Ulrich Fischer

Aufführungen am 14., 21.und 22. Feb. – Aufführungsdauer: 2 Std.
Kartentel: 030 284 41 225 – Internet: www.deutschestheater.de