Schauspiel-Chef Stefan Bachmann inszeniert Wajdi Mouawads „Vögel“ erfolgreich in Köln
Von Günther Hennecke
Köln – Man denkt an „Romeo und Julia“, nicht selten auch an den weisen „Nathan“. Denn es geht um Leben, Liebe und Tod. Um die Liebe zwischen einem Berliner Juden, dem Jungen Eitan, und einer Palästinenserin, der ebenso jungen Wahida. Und es geht zugleich um mehr: um die Frage nach der eigenen Identität: Bin ich Jude, bin ich Araber, oder einfach „nur“ Mensch „Unseren Genen“, so der aufsässige Eitan, „ist das egal“. Da spricht der aufgeklärte Biogenetiker – und die dramatischen Folgen sind absehbar.
Eine Welt droht zusaamenzubrechen
Denn mögen sich die Beiden auch lieben. Da ist immer noch die
Familie, sind die religiös-kulturellen Wurzeln, von denen zu lösen
keinem so recht gelingen mag. Und als sich herausstellt, dass
Eitans sich als Jude kompromisslos gebender Vater David in
Wirklichkeit ein arabisches Findelkind ist, einst nach einem
Kriegsgemetzel von Davids Vater Etgar gerettet, droht eine ganze
Welt zusammenzubrechen.
Drei Generationen auf drei Zeitebenen
Unterkühlt ist die erste Szene in Stefan Bachmanns Kölner
Inszenierung des Stücks, dessen Titel „Vögel“ scheinbare Freiheit
verheißt. Sein Autor Wajdi Mouawad, im Libanon geborener,
50-jähriger, in Frankreich lebender Frankokanadier, ist mit diesem
Drama, das drei Generationen auf drei Zeitebenen miteinander
verbindet und zugleich die Unterschiede aufzeigt, ein packendes
Stück Zeit-Theater gelungen. Dass sie in vier Sprachen miteinander
reden, auf Hebräisch und Arabisch, Englisch und Deutsch,
erleichtert zwar nicht gerade das Verständnis – wenn auch mit
Übertiteln -, macht aber auch die Fremdheit zwischen den Kulturen
deutlich.
Vom Zwang der Herkunft
Sieben Tische, Stühle, sieben vereinzelte Menschen vor einem Lamellenvorhang (Bühne: Jana Findeklee und Joki Tewes). Hier lernen sich Eitan und Wahida kennen. In New York, in einer Universitäts-Bibliothek. Und das Drama kann beginnen. Dass beide letztlich nicht aus ihrer vermeintlich so aufgeklärten Haut heraus können, wird sich bald zeigen: Papa David, ein Bulle von einem Mann und jüdischer als jeder Rabbi, überschlägt sich vor Abneigung – Eitands Liebe Wahida gegenüber. Selbst Mama, Ex-DDR-Kommunistin, kommt dagegen nicht an. So wird persönliches Schicksal unauflösbar mit der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft verbunden – und Mouawads „Vögel“ werden zu einer ambivalenten Metapher sowohl für die Freiheit der Lüfte wie den immer wieder notwendigen Kontakt zur Erde, zu den Wurzeln.
Die Großeltern .- ein Trio Infernale
Da kann Eitan, der junge Revolutionär, noch so sehr mit den Flügeln
schlagen, die Verkrustungen vermag er nicht aufzubrechen. Erst als
sich um ihn, den von einer Bombenexplosion schwer Verwundeten,
gleich drei Generationen zusammenfinden, deutet sich eine leichte
Entspannung an. Zumal Großmutter Leah (Margot Gödrös) und Großvater
Etgar (Martin Reinke) das Lügengespinst der Familie um Vater David
(Bruno Cathomas) lustvoll zerreißen. Ein altes Trio Infernale, das,
böse und weise zugleich, scheinbare Wahrheiten und vermeintlich
festgefügte Identitäten abstürzen lässt.
Szenen voller Eruptionen – und Zärtlichkeiten
Es gibt, bei aller inszenatorischen Kühle, Szenen, in denen die Emotionen ausbrechen wie Vulkane. Aber auch solche, deren distanzierte Zärtlichkeiten zu rühren vermögen. Wenn Papa David sich von seinem Vater sagen lassen muss, „du bist das, was du verabscheust“ – das arabische Findelkind –, stürzt für ihn eine ganze Welt ein. Morsch war sie und ist sie, auf einer Lüge basierend. Und selbst der wieder genesene Eitan (Nikolay Sidorenko) gesteht: „Ich, Erbe zweier Völker, werde so lange keinen Trost finden, so lange „sie sich einander zerreißen“ – und fliegt mit Papa David, als wären sie von den Fesseln der Wirklichkeit befreite Vögel, davon.
Langer und intensiver Applaus
Schauspiel Köln, Depot 1, Mülheim; Aufführungen am 29. September;
6.,11.,15.,19.,20.,26.,31. Oktober; 3 Stunden inkl. Pause;
www.schauspielkoeln.de
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„Vögel“
Von Wajdi Mouawad
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Premiere am 20. September 2019
In Hebräisch, Arabisch, Deutsch und Englisch
Schauspiel Köln, Depot 1, Mülheim
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Regie: Stefan Bachmann
Bühne und Kostüme: Jana Findeklee und Joki Tewes
Licht: Michael Gööck
Mit Bruno Cathomas, Margot Gödrös, Lena Kalisch, Lola Klamroth,
Melanie Kretschmann, Martin Reinke, Kais Setti, Nicolay Sidorenko