Rohes Regietheater

„Schloss Rosmersholm“ nach Henrik Ibsen in Bremen

BREMEN. „Rosmersholm“, uraufgeführt 1887 in Bergen, ist eines der selten gespielten Stücke Ibsens. Im Mittelpunkt des Vierakters steht Johannes Rosmer (einfühlsam: Manolo Bertling). Seine Frau Beate hat sich das Leben genommen. Vermutlich ist sie Opfer einer Intrige geworden. Beate konnte keine Kinder bekommen und eine Rivalin (facettenreich: Annemarie Bakker), die sich als ihre Freundin ausgegeben hatte, redete ihr ein, sie müsse den Weg für eine andere Frau freimachen, die für Nachwuchs sorgen könne.

Die Geschichte ist stark in der Zeit ihrer Entstehung verhaftet. Heute könnte sich in einem solchen Fall die Frau von ihrem Mann scheiden lassen, um den Weg frei zu machen; nur die Ideologie ihrer Epoche bindet die Menschen um Rosmersholm – und diese Bindungen macht Ibsen zum Thema. Der norwegische Meisterdramatiker greift vor allem die Konservativen an. Rosmer droht ihrem Einfluss zu entgleiten, er neigt zu liberalen Postionen, und das können Rektor Kroll und seine Partei weder ertragen noch wollen sie es dulden.

Lisa Guth, Annemaaike Bakker, Manolo Bertling (v.l.) Foto Joerg Landsberg

Ibsens Stück ist anfechtbar, aber seine Stärke liegt in der sorgfältigen Darlegung der verschiedenen Standpunkte. Und gerade die werden in Bremen Opfer des übergriffigen Regisseurs.

Das ist Armin Petras. Er ist bekannt, ja berüchtigt, für seine Neigung, Stücke zu zertrümmern. Petras greift bedenkenlos-herzhaft in die Konstruktion der Fabel ein, er weiß besser, wie Figuren gezeichnet werden müssen als namhafte Dramatiker – aber bei Rosmersholm hält er sich geradezu zurück (obwohl er andererseits sogar den Titel ändert, von „Rosmersholm“ zu „Schloss Rosmersholm“).

Die Geschichte wird fast erzählt, wie sie Ibsen überliefert hat – fast. Am Ende gibt es Änderungen. Nicht die etwas schlichte Madame Helseth, die Haushälterin, schildert, wie sie den Selbstmord von Rosmer und seiner Gefährtin Rebekka beobachtet, sondern Beate lockt Rosmer, ihren Gatten, ins Grab – aber sonst ist, wie gesagt, fast alles wie bei Ibsen.

Die Eingriffe geschehen während der Erzählung.

Immer wieder, wenn Armin Petras, der Regisseur, meint, es werde dramatisch oder gar hochdramatisch, müssen die Schauspieler – nein, nicht nur forcieren, sie müssen schreien. BRÜLLEN!! Man kann die Akteure jetzt wegen der überdrehten Lautstärke kaum mehr verstehen. Und es gibt neben der Lautstärke  auch noch ein rasendes Tempo, ein weiteres Hindernis zu verstehen, was das Motiv der Handlung der wichtigsten Figuren ist. Und dann kommt auch noch die Musik. Miles Perkin steht auf der Bühne; er spielt nicht nur Gitarre und Piano, er haut zusätzlich auch noch gnadenlos auf eine große Schüssel, in der Zement angerührt werden könnte, deren elektronisch verstärkte Geräusche den Donner Thors mühelos übertönen. Niemand kann die subtilen Begründungen Ibsens, die dem Drama Gewicht verleihen, verstehen. Gewiss, es ist deutlich, dass die Figuren unter Druck stehen, ihr Gebrüll hat   expressionistische Valeurs – aber Ibsens Subtilität (er wägt jedes Wort) fällt der Rohheit des Regietheaters zum Opfer. Der Menschheit ganzer Jammer fasst mich an.

Dabei kann Armin Petras, der selbst, unter anderem Namen (Fritz Kater)  Dramen geschrieben hat, anders, ganz anders. Ein blendender Gedanke macht seine Inszenierung trotz aller Willkür interessant: Er fügt Ibsens Bühnenpersonal eine Figur hinzu: Beate Rosmer. Die Tote liegt in vielen Szenen auf dem Bühnenboden oder wird angehoben – sie ist das geheime Gravitationszentrum des Stücks – ihr Freitod erfüllt ihren Mann, aber auch ihre Rivalin, mit nagenden Schuldgefühlen. Sie ist ein(e) Movens des Schauspiels.

Aber das sind Schuldgefühle ihrer Epoche – heute gibt es Auswege. Worin liegt die Aktualität des Stücks, das seine Inszenierung heute rechtfertigt?

Wo? Armin Petras und sein Ensemble blieben in Bremen die Antwort schuldig.

                                                                                   Ulrich Fischer

Nächste Aufführung am 20. 12.; 23. 1 . Spieldauer: 2 Stunden 30 Minuten.

Zusammenfassung: „Nicht schön, aber laut.“ (Donald Duck)