Wetter und Wind „hadden vrij spel“


Bergen aan Zee – wo die Strände endlos scheinen


Von Günther Hennecke


Holland – „Weer en wind hadden er vrij spel“, und das Meer war „alleen over een zandpad“ zu erreichen. Wir sind in Holland, exakt in Noordholland, nördlich von Amsterdam. Was einst so liebevoll beschrieben wurde, das „freie Spiel“ für „Wetter und Wind“, war damals, Anfang des 20. Jahrhundert, nur auf einem Sandpfad zu erreichen, als auch die Dünen „nur mäßig begrünt“ waren. Die Rede ist von Bergen aan Zee.


Es war offensichtlich alles andere als ein Sehnsuchtsort, was Zeitgenossen hier beschreiben. Was dann 1906 begann, war zugleich der Beginn einer Erfolgsgeschichte. Auch wenn Bergen aan Zee, damals allenfalls eine von Bergen Binnen aus gesehene Fata Morgana, auch heute noch alles andere als Promi-Land ist. Gottseidank, ist man geneigt zu sagen, gottseidank hat sich etwas – hinter Dünen riesigen Ausmaßes – von dem erhalten, was die Berichte aus der Anfangszeit des kleinen Ortes am Meer erahnen lassen: eine Natur, die dem Besucher ihren Stempel aufdrückt. Nicht umgekehrt.


Die hier lebenden Holländer wissen das ganz offenbar zu schätzen. Und die Familien und Gäste aus dem nahe gelegenen Rheinland und Ruhrgebiet ebenfalls. Hier ist Weite der Maßstab, sich kilometerlang hinziehende breite Sandstrände laden nicht nur zum Faulenzen und Baden ein; und wenn’s der untergehenden Sonne gefällt, ist der Zauber einfach überwältigend. 


Bis es freilich soweit war, vergingen  Jahrzehnte. Selbst die hinter Dünen und Wald liegende, etwa vier Kilometer entfernte „Stammmutter“ des kleinen Ortes Bergen aan Zee, Bergen Binnen, heute ein kleinstädtisches Kleinod, war zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestenfalls im Aufbruch begriffen. „Ein kleines liebliches Dörfchen mit noch geringem Wohlstand“, steht über Binnen in den Annalen. Und es hatte „geen verbinding naar zee “. Kein Wunder, gab es doch erst im Jahre 1901 „Aan de Breelaan“ die erste „Familienpension“ im damals, vier Jahre später, erst 1729-Einwohner-Städtchen Bergen – heute Binnen. 


Doch es begann eine Zeit unaufhaltsamen  Aufbruchs. Auch wenn Massentourismus noch ein fernes Fremdwort war. Am 22. März des Jahres 1906 hatten „Wind und Wetter“ zwar noch immer „freies Spiel“, aber sie umspielten seitdem einen „Weg, ongeveer 3 km lang“. Womit, wie es in der Chronik weiter heißt, „de zee was nu bereikbaar“, also erreichbar war.
 Damit nahm auch der Aufstieg des „Badplaats“ namens Bergen aan Zee seinen Anfang. Auch wenn es, wie auch anders, noch ein paar Jahre dauerte, ehe sich das Volk, vor allem aber die Prominenz der Zeit ins Seeabenteuer stürzte – wie köstlich altväterliche Fotos beeindruckend zeigen. 


Doch dann ging es rasend schnell – in der Zeit nach der Jahrhundertwende. 1907 wurde das Hotel „Nassau Bergen“, noch heute unbestritten der auf einer Düne überm Meer hockende Star von Bergen aan Zee, als Café- Restaurant eröffnet. 


Zwei Jahre später–der „Paad“ von 1906 war noch lange keine feste Straße – war Bergen Binnen mit seinem See-Bad über eine Tram-Verbindung erreichbar. Die Jungfernfahrt, bestückt mit Stehkragen-Prominenz der Zeit, fand am 24. Juni 1909 statt. Wenig später war’s dann auch mit dem Kerzenverbrauch in dunklen Nächten und Zeiten vorbei: Ab 1913 blitzten erstmals auch hier Glühlampen auf. Die Tram-Verbindung verschwand übrigens erst 1955 in der Versenkung, am 31. August 1955 verließ die „allerlaatste tram…Bergen an Zee“. Wie die Tram längst vergessen ist, ist auch Kerzenlicht allenfalls noch gefragt, wenn man in einem der Restaurants Gemütlichkeit sucht.


Aber ehe es soweit ist, lockt der breite, sich nach Norden und Süden, Richtung Den Helder und Egmont aan Zee, gefühlte Unendlichkeiten  ausbreitende feine Sandstrand. Und wenn’s einen mal weder ins Wasser noch zu einer längeren Strandwanderung lockt, laden die „Paviljoens“ ein. Ob drinnen oder draußen, ob hinter den Wind abweisenden Glaswänden auf der oberen Terrasse, ob auf der frei und offen zur See einladenden unteren Terrasse, oder auf tief abgesenkten Sesseln: Der „Paviljoen Zuid“, auf Holzstelzen und Bohlen auf und über dem Strand thronend, ist immer eine Pause, wert. Und wenn die untergehende Sonne verspricht, sich durch ganz besondere Rotschattierungen auszuzeichnen, geraten die Pavillonterrassen zu Logenplätzen für ein ganz besonderes Theater-Bühnenbild.


 Bergen aan Zee ist ein unkompliziertes, von jeder Schickimicki-Welt unendlich weit entferntes Örtchen am Meer, versteckt zwischen Dünen. Ein Paradies sowohl für Erwachsene wie Kinder. Und wer‘s dann doch mal ein wenig anders will, den treibt es ins knapp vier Kilometer entfernt hinter den Dünen liegende Bergen Binnen. Mit seinen Cafés, kleinen Lädchen und der das Zentrum bestimmenden Kirchen-Ruine, nicht selten Ort kultureller Highlights, lädt das Städtchen zum gemütlichen Verweilen geradezu ein. Und wen es nicht das ein oder andere Mal ins „Huis met de Pilaren“ verschlägt, hat, ob drinnen oder draußen, geschützt neben den weißen Säulen, den „Pilaren“, eine mitreißende Möglichkeit verpasst, diese äußerst liebenswerte Seite Hollands intensiv zu erleben.