Das Geheimnis von „zittrigi fäkke“



Ein Fremder erlebt bei und mit Müller-Drossaart die Sprache der Innerschweiz

Von Günther Hennecke

Zürich – „Zittrigi fäkke“? Meine sprachliche Leidensfähigkeit wurde wieder einmal auf eine harte Probe gestellt. „Zittrigi“? Das ging ja noch. Aber „Fäkke“? Dass auch kein nach der Bedeutung dieses Wortes befragter Zürcher dem überforderten Ausländer dessen Sinn erklären konnte, liess den  ein wenig aufatmen. Erst eine geborene Nidwaldenerin wusste Rat: „Fäkke“ bedeute – aber vor allem und fast nur in Obwalden! – „Flügel“.
Obwohl mir ziemlich klar war, dass ich, wenn’s schon Zürchern allein der Begriff  „Fäkke“ ein sprachliches Geheimnis mit sieben Siegeln ist, kaum ein Wort verstehen würde, reizte der Anlass: Der Schweizer Literat, Autor und Schauspieler Hanspeter Müller-Drossaart bot, unter eben dem Titel „zittrigi fäkke“, den „Kultur“-Anteil des Abendprogramms „Genuss & Kultur am See“ im Restaurant „Schifflände“ in Maur am Greifensee. Mit einem Programm, mit dem er einige Zeit lang durch die Lande zog.
Als hätte Müller-Drossaart, lange Jahre als Schauspieler an der Wiener Burg, dem Neumarkt-Theater und am Zürcher Schauspielhaus Ensemble-Mitglied, geahnt, dass er Rücksicht auf den sprachlichen Außenseiter im Saal nehmen müsste, brachte er Publikum und Saal erst einmal mit Ringelnatz, Heinz Erhardt und anderen hochdeutsch schreibenden Humor-Koryphäen in Schwung. So konnte ich lange mithalten und schwamm mit auf einer Woge allseits verständlicher Poesie des Augenzwinkerns, und erfreute mich dabei mit Rotwein aus Portugal mit dem – ebenfalls leicht verständlichen – Namen „Fabelhaft“.
Das ging so lange gut, bis sich der ebenso die Szene darstellerisch beherrschende und bestens mit dem  Publikum interagierende Autor nach Obwalden verabschiedete. Rein sprachlich, versteht sich. Denn von nun an ging’s bergab. Ebenfalls sprachlich, exakter: Ich verstand praktisch nichts mehr. Nach ersten ernsthaften Versuchen gab ich’s auf, zumal Obwaldener Feinheiten zwar köstliches Gelächter zu erzeugen vermochten, für mich aber ein Buch mit mehr als sieben Siegeln blieben.
So verlegte ich mich aufs Beobachten der Verstehenden um mich herum und die faszinierend lockere Präsentation einer mir sprachlich fremden Welt durch den Autor aus Obwalden. Interessant, das spürte ich dabei einmal mehr, dass man manches selbst dann begreift, wenn man kein Wort versteht.
P.S.: Eine letzte Frage drängte sich mir, dem neugierigen Journalisten und studierten Germanisten, dann aber doch noch auf: Wie kommt ein „Müller“ aus der tiefsten Innerschweiz an den Zweitnamen „Drossaart“, der ganz offensichtlich holländischen Ursprungs ist? Dem Rheinländer in mir und nahen Nachbarn der Niederlande war das schnell klar. Die Lösung bot der Akteur selbst: Seine Frau Franziska hat ihn mit in die Ehe gebracht. Als ich dann aber auch noch erfuhr, dass deren voller Name „Drossaart van Dusseldorp“ sei, war mir endgültig klar, was mich an diesem Abend (auch) auf „zittrigi fäkken“ nach Maur gelockt hatte. Bin ich doch selbst geborener Düsseldorfer und könnte mich also frech in des Autors Ahnengalerie einreihen – als „Gunther van Dusseldorp“. So hiess die Stadt am Rhein nämlich mal im tiefsten Mittelalter.
Dann also ein spätes Helau! Es lebe der Humor! Auch wenn mir des Entertainers Obwalden-Dialekt völlig unverständlich blieb. Aber der Charme! Danke!