Aus Teufelsglut erwächst eine paradiesische Welt

 Bei heißen Glas-Zauberern und auf einsamen Kloster-Hügeln  Mallorcas
Von Günther Hennecke 


Mallorca –Es war schwül in diesen Tagen auf Mallorca. Ungewöhnlich schwül sogar. Nichts wollte so richtig trocknen. Ob Badesachen, Handtücher, Liegen: Die feuchte Luft drang in alle Poren. Da lockten die Hotel-Pools. Oder auch die Berge der Tranmontana im Norden der Insel. Doch die vermeintliche Flucht aus der Hitze in die Frische der bis zu 1300 Meter hohen Berglandschaft endete im Stau, richtiger: im Chaos: Denn offensichtlich hatten Hundertschaften anderer Touristen auch unsere Frische-Idee.

Zurück in eine fremde Welt

Wer hier nicht zurückzuckte, war wahrlich massentauglich. Ein Hauch von Arroganz ließ uns dieser Masse nicht folgen. Also sofort zurück in die Ebene, vorbei an Stränden und Surfern, hinein ins Land, in dem sich der Tourist, besser: der Reisende endlich da wiederfinden durfte, wo er noch „Fremder“ war, Einzelreisender, bestenfalls Erforscher einer ihm noch fremden Welt.

Einsame Dorfer, dicke Mauern

Denn hier, hinter meist hochgezogenen Markisen und runtergelassenen Rollos, dicht verschlossenen Fenstern und Hoftüren, scheint die Welt still zu stehen. Kein Bauer war zu sehen, kein Kind, junge Menschen schon gar nicht. Waren sie alle in die Touristenburgen und Zentren geflohen? Dort, wo es besseres Einkommen fürs Auskommen gibt? Einiges sprach dafür, anderes ließ Fragen offen. Im Zentrum der Insel, in den fruchtbaren Ebenen, blitzten, hinter den landestypischen Mauern aus beigem Naturstein verborgen, auch immer wieder kleine, kostbar scheinende Höfe auf, besser wohl: Fincas.

Ermitage Santa Magdalena lockte

Am Tag nach der Flucht aus dem Auto-Chaos am Mirador de Mal Pas und aus den engen Straßen zum Cap de Formentor an der äußersten, nordöstlichen Spitze der Insel, konnten und sollten uns nun Stille und Ruhe helfen, den Ferientagen eine eigene Qualität ab zu gewinnen. Da lockte zunächst eine „Ermitage“ namens Santa Magdalena.

Auf einem Hügelchen, ganze 300 Meter über der Ebene und wenige, wenn auch windig-gefährliche Kurven von der Autobahn nach Palma entfernt, nahe Inca, war dann Muße und Sehen unser Begleiter. Winzig klein das Kirchlein. Lang ist’s her, dass hier eine Einsiedelei existierte.

Einsiedler suchte vor Jahrhunderten Schutz

Einsam ist es an diesem Tag. Vielleicht so menschenleer  wie einst, als sich, im 13. Jahrhundert, eine Gruppe von Einsiedlern auf den die weite Ebene überragenden bewaldeten Hügel aufmachten. Selbst das Restaurant „Puig de Santa Magdalena“, etwas seitwärts gelegen, ist dicht. Wir waren allein mit der Geschichte. Umso grandioser ist der Blick in die Weite der Ebene, wenn, wie zufällig, die Nachmittags-Sonne zwei weiß schimmernde Städte aus dem  schattig-bewölkten Dunkel drumherum herausfiltert – wie eine Fata Morgana.

Wildwachsende Reben über Kloster-Mauern

Einsam ist es auch in dem gotischen, das nicht viel von sich hermacht, aber gerade  dadurch beeindruckt. Wie aus der Zeit gefallen, scheinbar ganz dem Zufall überlassen, empfängt den Besucher ein kleiner Innenhof neben der Beschaulichkeit der Kapelle. Ein zugedeckter Brunnen, daneben, so scheint es, ein kleineres Taufbecken. Wilde Weinreben überwuchern die steinernen Mauern. Ein wildes Gärtchen, das über die Zeit nachdenken lässt. Auch ein Privileg, wenn man sich aufmacht, Mallorcas ländliches Herz kennenzulernen.

Weihnachtskrippe das ganze Jahr

Die Spur war gelegt: Weg vom Massentourismus, hinein in die Ebenen des Landes. Was freilich, um sie von dort aus in ihrer ganzen Weite  zu übersehen, uns immer wieder zu Klöstern auf Berge zieht. An diesem Tag lockte der „Puig de Randa“, mit seinen 542 Metern die höchste Erhebung weithin. Gleich drei Klöster liegen oberhalb des reizenden Städtchens Randa– und warten auf neuegierige Besucher. Das „Sanctuari de Cura“ ist unser Ziel. Eine im Vergleich zur Kirche der Heiligen Magdalena sehr majestätisch sich ausbreitende Anlage. Gleichwohl ist auch hier die Kirche eher eine Kapelle. Mit einer – Überraschungen gibt es immer wieder – Weihnachtskrippe in grellbunten Farben. Mitten im September.

Vom Frauenheld zum Missionar 

Hier lebte Ramón Llull, zuvor Frauenheld und Genussmensch, fast zehn Jahre lang, nachdem er mit 30 Jahren auf allen Besitz verzichtete. Er wurde Missionar, der an die 250 literarische Werke verfasste, aber von Cura aus auch Reisen in die gesamte damalige Welt machte, neugierig zwischen Paris und Rom, Nahost und Sizilien pendelnd. Verehrung und Hochachtung der Mallorquiner gilt ihm bis heute. Heute vielleicht noch mehr als je zuvor. Er hat nämlich, 1232 geboren, das Katalanische – übrigens die originale, wenn auch stark mallorquinisch eingefärbte Sprache der Insel-Bewohner – in den Rang einer Literatursprache erhoben. Latein war passé für den „Inselheiligen“, der nur seelig und nie heilig gesprochen wurde. 

Heiße Glaskunst bekommt Gestalt

Ramón Llull? Den kannten wir doch? In einem Hinterhof nahe Algaida zeigt er sich – als eine Hände und Blick nach oben reckende Mönchs-Statue. Aber was heißt Hinterhof? Er ist Teil einer grandiosen Anlage, die es in sich hat. Und zwar heiß und gläsern. Als ob die 30 Grad draußen noch nicht reichten, glühen zwei Öfen mit offenen Mäulern vor sich hin. Und damit begann auch, was faszinierender kaum sein konnte. Es war die grandiose, ganz auf Arbeit eingestellt Glasmacher-Halle einer der ältesten Glasfabriken in Mallorca, bereits seit 1719 im Besitz der alteingesessenen Familie Gordiola.

Das Wunder der schnellen Geburt 

Uns war auch hier das Schicksal hold. Nahezu alleine durften wir einem der Glasbläser, kaum hatte er uns im Blick und unsere Neugier gefesselt, bei seinem Handwerk zusehen. Handwerk? Wer einmal dabei war, kommt nicht um den Begriff „Kunst“ herum. Denn wie und was unser Kunst-Handwerker an künstlerisch–handwerklichem Geschick aufbot, war großartig, bewundernswert. Mit einer kleinen Zange, einer Pinzette gleich, zupfte er so lange, bog und änderte die rotglühenden Glasfäden, die er aus dem roten Glasklumpen auf unnachahmliche Art hervorzauberte, bis das, was er vorhatte, mehr als erkennbar war. Eine Schnecke zuerst, wenig später, aus demselben immer noch rot glühenden Klumpen, eine sich streckende Katze. Als er dann, wie aus dem Nichts, mit seiner Pinzette einen eleganten Toro, einen Stier zum künstlerischen Leben erweckt hatte, war klar: Den musste ich haben! 20 Minuten später gehört er mir. Ein handgemachtes Mini-Kunstwerk der

Extaklasse.

Mallorca, Glaszentrum seit Ewigkeiten

Dass die historische Glasfirma Gordiola noch mit einem unermesslich großen Angebot an Tellern und Vasen, Lampen und ausladend schweren Kronleuchtern, eingespannt zwischen mitreißendem Kitsch und bewundernswerten Kunst-Stücken, in Bann schlägt, sei nur angemerkt. Wer dieses Gebäude und seine Gewölbe, wirkend wie eine Schlossburg-Anlage aus klassischer Zeit, nicht neugierig betreten und später beglückt wieder verlassen hat, dem fehlt einer der eindringlichsten Momente einer Reise nach Mallorca. Zumal die Insel zu den ältesten Glaskunst-Zentren seit römischer Zeit gehört. Seit vielen Jahrhunderten übrigens mit den Kollegen auf der venezianischen Insel Murano in sowohl freundschaftlicher wie kämpferischer Konkurrenz. Krachende Gewitter und RegenmassenAls wollte sie uns unbedingt halten, uns zu  weiteren ungewöhnlichen Entdeckungen verleiten, überschlug sich die Insel in der Nacht vor unserem Rückflug mit stundenlangen schweren Gewittern. Pausenlos blitzte es, fegten Donner-Töne übers Polentia-Hotel, schüttete Zeus uns mit Kübeln ganz und gar unolympischer Wassermassen zu. Auch am Morgen danach gab der oberste Olympier noch keine Ruhe. So zuckte und polterte das Unwetter unentwegt weiter. Dazu schüttete es, dass wir allein auf dem kurzen Weg zum Mietwagen, der uns zum Flughafen bringen sollte, bis auf die Haut durchnässt wurden. Denn gegen den peitschenden Regen kam selbst das sommerlich leicht überdachte Elektro-Wägelchen des Hotels nicht an. Es wurde nicht gerade die  gemütlichste Art, gen Heimat zu fliegen.Sommerliche Entspannung am GreifenseeAber wir schafften es: Nach einem überraschend ruhigen Flug, bei Rotwein und Schnittchen, empfing uns Zürich bei 26 Grad mit strahlendem Sonnenschein. Völlig trocken wurden wir freilich erst im Gärtchen des Restaurants „Krone“ am Greifensee, wo wir uns am späten Nachmittag von den mallorquinischen Strapazen erholen und entspannen konnten.Keine Sorge, Mallorca, wir kommen sicher wieder, um uns von dir überraschen zu lassen.