Makellos

Arthur Schnitzlers „Professor Bernhardi“ zeitlos und aktuell

BERLIN. Arthur Schnitzlers „Professor Bernhardi“ (uraufgeführt 1912) hatte in der Inszenierung von Thomas Ostermeier am 17. Dezember 2016 in der Berliner Schaubühne Premiere. Die Aufführung zweieinhalb Jahre später, am Pfingstsonntag, hat nichts an Frische verloren, vielleicht durch die Sicherheit der Schauspieler, die Vertrautheit mit der Komödie noch gewonnen.

Schon das Schauspiel ist ein Meisterwerk. Die Exposition packt gleich zu: „Ein Mädchen liegt sterbend in einer Krankenanstalt (…) auf der  Abteilung des  Direktors Professor  Bernhardi.  Der Priester wird, wie es üblich ist, von der Wärterin herbeigerufen.  Professor Bernhardi und der Priester  treffen an der Schwelle des Krankenzimmers zusammen und Bernhardi, der seiner völlig ahnungslosen Kranken, über die sogar ein Zustand  erhöhten Wohlbefindens gekommen ist, Todesangst und Grauen ersparen möchte, verweigert dem Priester den Eintritt.  Aus den verschiedenen Auffassungen, die das Vorgehen des Arztes  bei Aerzten und Politikern begegnet, entwickeln sich die weiteren  Vorgänge des Stücks.“ (Arthur Schnitzler „ Erster Einfall zu Professor Bernhardi“.) Bernhardi beharrt, die Patientin stirbt, ohne gebeichtet zu haben, ohne Absolution.

Gegner des Professors bauschen die Sache auf – Bernhardi ist Jude, die antisemitischen Gegner wollen ihm die Stellung als Klinikdirektor nehmen, selbst die Führung übernehmen und Gesinnungsgenossen in wichtige Positionen hieven. Qualifikation spielt keine Rolle.

Im Lauf des Stücks werden alle Standpunkte ausgelotet, Schnitzlers Dialoge sind an Luzidität nicht zu übertreffen. Die Konflikte bieten Stoff für dramatische Spannung – und Futter für Schauspieler. Sie müssen Meister des Wortes sein, der Aussprache. Kein Satz, der nicht auf seinen Sinn hin durchforscht werden muss, jede Betonung muss jede Bedeutung hervorheben, hervorarbeiten, hervorgraben.  

Und das tut das 14köpfige Ensemble der Schaubühne meisterhaft, allen voran Jörg Hartmann in der Titelrolle. Regisseur Ostermeier wählt ein scharfes Tempo – zu Recht. Die Dramatik käme sonst zum Erliegen, die Spannung liegt nicht zuletzt darin, dass das Publikum genauestens, konzentriert zuhören muss, um stets zu folgen und die Argumente zu wägen. Mehr Sprechkunst ist auf dem Theater selten gefordert – und erfüllt. Die Spannung lässt nie nach – fast drei Stunden lang, es wird ohne Pause, ununterbrochen gespielt.

Humor gibt es genug, vor allem bei Angriffen auf Eitelkeiten und Unterwürfigkeit. Thomas Bading spielt einen Mediziner, der Politiker und schließlich Minister geworden ist; wenn er mit einem Höhergestellten auch nur am Telefon spricht, fängt er an zu buckeln – das Publikum lacht. Nicht der einzige Lacher – immer auf Kosten der Opportunisten und Anpasser.

Thomas Ostermeier inszeniert Professor Bernhardi ganz im Sinne Arthur Schnitzlers als Aufruf zur Zivilcourage, gegen Unterwürfigkeit, für Humanismus, Wahrnehmung der mit dem Beruf verbundenen Verantwortung. Ein Stück gegen Antisemitismus und Populismus – Jan Pappelbaum reduziert sein in klinischem Weiß gehaltenes, funktionales Bühnenbild, um die Zeitlosigkeit und Aktualität des Stücks zu unterstützen.

Kurz bevor die Scheinwerfer verlöschen steht Jörg Hartmann als Professor Bernhardi allein auf die Bühne: Ein positiver Held. Es ist nicht viel, was von uns gefordert wird: intellektuelle Redlichkeit. Aber es macht den ganzen Unterschied.

Langerlanger und verdienter Beifall.

                                                              Ulrich Fischer

Spieldauer: 2 Std. 50 Min. – www.schaubuehne.de