Schlichtheit ist seine Kunst

Dietmar Bär in „Gift. Eine Ehegeschichte“ auf Bochums Bühne umjubelt

BOCHUM. Der Beifall in Bochums Kammerspielen entwickelte sich  ganz ungewöhnlich. Nach der Premiere von Lot Vekemans‘ „Gift. Eine Ehegeschichte“ am Samstagabend war der erste Applaus stürmisch. Nicht der übliche Routinebeifall, nicht das anerkennende „Dankeschön“ für eine gute Leistung, das war mehr. Aber er ebbte nicht ab, er wurde stärker und ging dann über in rhythmisches Klatschen. Das hing ganz offenbar mit Dietmar Bär zusammen, dem Star des Abends. Und dann stand der erste Zuschauer auf, danach ein zweiter und schließlich die ganz überwiegende Mehrheit des Publikums in den Kammerspielen. Es gab Standing Ovations. Das beobachteten die Schauspieler mit offensichtlichem Staunen und großer Freude – denn Standing Ovations gibt es im nüchternen Bochum selten, rarissime.

 

Mir war, als gelte diese außergewöhnliche Ehrung Dietmar Bär. Nicht, weil der Fernsehstar nach Bochum gekommen war und dort gespielt hatte, sondern für die Qualität seiner Darstellung. Bär hatte sich nicht zu den irdischen Theaterzuschauern herabgelassen, sondern seine Rolle genau studiert und gezeigt, zu welcher Nuancierungskunst er fähig ist. Intellektuelle und darstellerische Redlichkeit pur für sein offensichtlich hoch geschätztes Publikum. Diese HaltungLeistung war die außergewöhnliche Ehrung wert. Aber eins nach dem andern:

 

Ein gutes Stück

Lot Vekemans (*1965) hat mit ihrem Stück „Gift. Eine Ehegeschichte“ einen ungewöhnlichen Erfolg, es wird zwischen Berlin und Ulm, Hamburg und Montevideo gespielt. Zu Recht: Denn die niederländische Dramatikerin legt ihrem Schauspiel eine scheinbar simple, tatsächlich aber raffinierte, überraschend wirkungsvolle Idee zu Grunde. Sie beschreibt im ersten Akt das Zusammentreffen von zwei Eheleuten, die sich vor neun Jahren getrennt haben. Die Handlung setzt ein, als die beiden sich auf dem Friedhof treffen, auf dem ihr Sohn begraben liegt. Der Zuschauer kann peripheren Bemerkungen entnehmen, dass offenbar die sterblichen Überreste umgebettet werden sollen, weil der Friedhof, wie sich erst kürzlich herausstellte, kontaminiert sei. Gift!

 

Gift in einer zweiten Bedeutung hat zur Trennung der Eheleute geführt, Misstrauen, das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, kein Verständnis zu finden. Dieses Gift ist mit den Jahren nicht weniger geworden. Jede Episode, die die beiden ansprechen, grundiert Anklage, das Leitmotiv: „Du bist Schuld. Du. Du! Du!!“

 

Im zweiten Akt wird der gleiche Text noch einmal gesprochen, nur die Rollen werden vertauscht. Die Anklagen des Mannes übernimmt die Frau, ihre Verteidigungsargumente werden zu seinen. Der Basso continuo: „Du bist Schuld. Du. Du! Du!!“

 

Schauspielkunst

Das ist witzig, der Zuschauer kann sich zurücklehnen und überlegen schmunzeln, bis er/sie merkt, dass ihrsein Muster häuslichen Zwistes sich kaum von dem auf der Bühne unterscheidet. Die Schauspieler haben die Aufgabe, die verschiedensten Facetten von Selbstgerechtigkeit und Herrschsucht durchzudeklinieren. Dabei bewähren sie sich über alle Erwartung. Dietmar Bär bringt sowohl seine bärigkorpulente Körperlichkeit als schwerwiegendes Argument ein, als auch eine differenzierte Mimik und Sprachgestaltung, die alle Schattierungen umfasst von der Empörung des ungerecht Beschuldigten bis zur zum Zweifel gesteigerten Unsicherheit, ob da nicht vielleicht doch ein fataler Fehler unterläuft. Seine Antagonistin Bettina Engelhardt spielt auch makellos, ist Bär fast gewachsen, doch er überflügelt sie auch in den komplexesten Momenten des Dialogs noch mit seiner schlafwandlerisch sicheren Nuancierungskunst.

 

Beide haben zusätzlich die Aufgabe, eine zweite Ebene einzuziehen. Der Fortsetzung des Streits unterliegt die Sehnsucht, den Geschlechterkrieg endlich beizulegen, wieder zueinander zu finden. Aber wo ist der Weg zum anderen, wenn man/frau doch Recht hat, zweifellos, und die/der andere so uneinsichtig ist?

 

Regiedesaster

Ein tolles Stück mit einer bestechenden Grundidee, großartige Schauspieler, die in der Darstellung geringster Differenzen wie großer Unterschiede zwischen Frau und Mann exzellieren und ihren Spaß am Spiel ins Spiel einfließen lassen – da wäre jede Regisseurin klug zu nennen, die, sich vornehm zurückhaltend, nur die Szenen sorgfältig arrangierte. Doch Heike M. Götze drängt sich in den Vordergrund mit Regisseurinnenideen, die nur stören: einmal gar lässt Bühnennebel Dietmar Bär für Minuten unsichtbar werden. Den immensen Humor des Stücks erstickt die irregeleitete Regisseurin in tränenreicher Rührseligkeit.

 

Aber jedes Wort für die unselige Regie ist zuviel, weil es den Blick von einer großartigen Schauspielerleistung ablenkt. Dietmar Bär erhielt 2012 für seine Rolle als Familienvater im ARD-Drama „Kehrtwende“ die Goldene Kamera als bester deutscher Schauspieler. Für seinen Auftritt in Bochum hat er das Bühnenbrett in Platin verdient.

Ulrich Fischer

Aufführungen am   20. und 27. März, 12. und 26. April; 3. Mai – Spieldauer: 75 Min.

 

Kartentelefon: 0234 33 33 55 55 – Internet: www.schauspielhausbochum.de