Der General ist untröstlich

Yishai Sarids „Siegerin“ auf Deutsch

Yishai Sarids neuer Roman „Siegerin“ ist haarsträubend. Haarsträubend im mikro-, aber haarsträubend auch im makroliterarischen Sinn.

Yishai Sarid

Der kleine Kreis

Abigail ist Psychologin. Ihr Spezialfeld: die Seele von Soldaten. Nach blutigen Einsätzen leiden Soldaten immer wieder unter schweren Störungen – Abigail weiß sie zu behandeln, sie arbeitet bei der israelischen Armee. Früh schon ist sie, unsere Zeitgenossin,  von einem dynamischen jungen Offizier fasziniert; er ist verheiratet, Abigail kann ihn trotzdem überreden, mit ihr ein Kind zu zeugen, einen Jungen. Sie verspricht absolute Diskretion und erzieht ihren Sohn allein. Ihr Freund wird am Ende einer kometenhaften Karriere Generalstabschef; sein Ziel: als Ende aller Kriege der letzte Krieg, siegreich. Der Feind soll zerschmettert werden, ausgerottet. – Die mitreißende Dynamik des kurzen Romans unterstützt Ruth Achlama mit ihrer zupackenden Übersetzung.

Um sein Ziel zu erreichen, ist dem General als eine Komponente das Psycholgische wichtig. Er erinnert sich an seine alte Gefährtin, und sie entwirft, ihre Arbeiten auswertend und weiterführend, eine Strategie, die den Soldaten, vor allem den Offizieren der mittleren Leitungsebene, klar macht, das Töten notwendig ist, erwünscht, um den Erfolg zu sichern. Den Sieg. „Siegerin“ als Titel kann auf diese Strategie bezogen werden. Ihre Botschaft: Töten ist gut. Ihre Korrektur des Fünften Gebots: „Du sollst töten!“

Dieses Konzept ist unmenschlich. Ebenso durchschlagend wie inhuman. Pardon wird nicht gegeben, schnarrt unser geliebter Kaiser. Abigail will diese Unmenschlichkeit nicht erkennen. Aber der Autor spricht sie nicht frei, wie Jesus seine Peiniger: „Herr, vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Sie weiß es sehr wohl. Um uns Leser davon zu überzeugen, führt Sarid Abigails Vater ein, ebenfalls Psychologe, der seine Tochter warnt : Ihre Psychologie wende sich von den menschlichen Wurzeln, z.B. Freud, ab und verkehre die humane Psychologie in ihr Gegenteil.- Die zweite Komponente, die Abigail ins Unrecht setzt, ist das Schicksal ihres Sohnes. Auch er wird Soldat, aber Abigails Psychozauber wirkt nicht; er übersteht zwar die Krise, überlebt den Krieg – aber er flieht. Ins Ausland – weg von der Mutter.

Der große Kreis

Weg von Israel – und das ist die makroliterarische Seite. Der Roman kann als Analyse Sarids, der seinem Land als Soldat und Jurist gedient hat, gelesen werden – als Blick auf Israel in der Welt von heute. Gewissenlosigkeit als Psychotechnik steht nicht unangefochten da – die Tradition greift sie an wie die Zukunft. Denn das Verhältnis Abigails zu ihrem Sohn ist zerrüttet.

Der zweite hoffnungsvolle Aspekt: Der General wird zurückgepfiffen. Er kann/darf seinen letzten, alles entscheidenden Krieg nicht führen, wird um seinen Sieg gebracht. Und seinen Ruhm. Der General ist untröstlich.

                                                                                              Ulrich Fischer

Yishai Sarid: Siegerin, aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. Kein&Aber, Zürich, Berlin 2021, 253 S., gebunden, 22,00 €.