Gut erzählt

Klaus Modicks „Der kretische Gast“

Klaus Modick hat mit seinem „Kretischen Gast“ einen antifaschistischen Roman geschrieben. Ein junger Historiker, der eben (1975) sein Examen bestanden hat, bekommt Streit mit seinem Vater, einem wohlsituierten Rechtsanwalt, als er ihn nach einem alten Foto fragt, das im Zweiten Weltkrieg auf Kreta aufgenommen wurde. Warum regt der Vater sich so auf, warum erzählt er nicht, was er damals (1943 – 45)  in Griechenland erlebt hat? Der Sohn begiebt sich, zunächst halbherzig, später energischer auf die Suche. 

Klaus Modick

Er findet heraus, dass sein Vater sich zum Schergen der Nazis gemacht hat – obwohl er durchschaut und verabscheut  hatte, was sie planten. Johannes, ein Kunsthistoriker, wird nach Kreta beordert, um Schätze zu katalogisieren. Es wird nie ausgesprochen, aber offenbar ist dies die Vorbereitung eines Raubzugs zugunsten einer Nazigröße.

Als Johannes dämmert, wozu er missbraucht werden soll     wechselt er die Seiten. Die entsetzlichen Grausamkeiten der Wehrmacht, Geiselerschießungen und Niederbrennung ganzer Dörfer, empören ihn. Im entscheidenden Moment warnt er seinen Fahrer – ein Mann des Widerstands, der seine Nachricht rechtzeitig überbringt. Am spannendsten wird es, wenn Johannes von der Wehrmacht gefangen genommen wird – auf dem Weg zum Kriegsgericht befreien ihn die Widerständler. Eine heroische Geschichte, eine patriotische Geschichte – und eine Liebesgeschichte darf nicht fehlen. Die Fabeln sind reich, das Schwelgen im Detail bei Beschreibungen der Landschaft, des Lichts, des Meers schweifen ein bisschen aus, aber die Schwäche wird mehr als nur ausgeglichen durch die politische Analyse: Die Auffächerung des Widerstands und seiner Gruppen, die Darstellung der Wehrmacht und der Befehle, die dem Völkerrecht Hohn sprechen, und die gewissen- und prinzipienlose Kooperation der Briten mit den besiegten Deutschen 1945, auch mit belasteten Nazis,  um die Kommunisten einzuhegen.

Ars docet et delectat – der Roman lehrt viel über den Zweiten Weltkrieg, über die Untaten von Wehrmacht & Nazis – und sie erfreut mit einem Plädoyer für Lebenslust im Süden unseres Kontinents, in hohen Liedern auf die Freundschaft, auf Kreta und die Kreter*innen. Der kretische „Gast“ – der Titel ist nicht zuletzt gewählt, weil das griechische Wort für „Fremder“ auch „Gast“ bedeutet   und Gast eine menschliche Beziehung umschreibt, die dem Menschenbild der Nationalsozialisten entgegensteht, aber auch   Konkurrenzvorstellungen der neoliberalen Ära.

1945 versucht der junge Kunsthistoriker sich seiner Festnahme zu entziehen, um von seiner Frau Abschied zu nehmen – der Leutnant, der Vater, der nichts über seien Zeit in Griechenland erzählen will, erschießt ihn. Er hat Angst, dass sein Gegner beweisen könnte, welche Untaten er begangen hat, ihn als Mörder anklagen könnte. Seines Feindes entledigt,  lebt er herrlich und in Freuden unbehelligt in Deutschland, angesehen als Anwalt. Das Buch endet, ohne dass der Sohn Rechenschaft von seinem Vater fordert. Das ist ebenso unbefriedigend wie realitätsnah – ein Buch, das endet, ehe die Erzählung hätte zu Ende sein sollen.

Klaus Modick: Der kretische Gast (geschrieben 2000 – 2003), Eichborn, 453 S. (Gibt es auch als Taschenbuch für 10.00 €).