Über Terror & Tod

Michel Houellebecqs „Vernichten“ – (k)ein Schwanengesang?

Michel Houellebecqs neuer Roman „Vernichten“ spielt im Frankreich der nahen Zukunft und dreht sich um Terror & Tod. Im Mittelpunkt steht Paul, Freund und Berater eines hochrangigen französischen Ministers, der auf dem Sprung ist, als Präsidentschaftskandidat nominiert zu werden. Er wird von Terroristen bedroht, sie veröffentlichen im Internet ein Video, in dem der Minister geköpft wird – wie sich das in Frankreich auch bei derartigen Fakenews gehört per Guillotine.

Houellebecq schildert die Verfolgung der Terroristen – sie ist vergeblich. Dieser Strang des Romans zeigt, dass die Propagandisten des Schreckens mutmaßlich alleinstehende Wirrköpfe sind – und Houellebecq prophezeit, dass niemand  ihnen   auf die Spur kommen kann. Sie sind isoliert, gefährlich, tödlich – trotz aller Anstrengung wird man mit ihnen leben müssen.

Michel Houellebecq – Foto: Philippe Metsas

Der zweite Strang beschäftigt sich mit einem anderen Terror – dem des Lebens und des Todes. Paul erkrankt an Mundkrebs – und kämpft darum, sich nicht operieren zu lassen. Er wehrt sich vehement, Kinn und Zunge wegschneiden zu lassen, auch, wenn eine solche Operation sein Leben verlängern könnte. Chemotherapie hilft, aber schwächt – der Tod kommt näher. Houellebecq hat sorgfältig recherchiert, breitet wichtige Details aus – und verbindet die Leidens- mit einer Liebesgeschichte. Paul hatte sich von seiner Frau getrennt, aber sie kommen wieder zusammen. Seine Frau hält zu ihm. Eine zu Herzen gehende Geschichte, ganz Un- Houellebecqsch, die dann aber auch einen weiteren Aspekt eröffnet, der wieder an den alten Pornographen erinnert. Es ist eine der Stärken dieses so umstrittenen Autors, über die Genüsse des Fleisches so offen zu schreiben, wie es wohl niemand vor ihm gewagt hat. Wo findet sich eine einfühlsamere Beschreibung der Wonnen, wenn Zunge und Lippen einer kundigen Frau die Eichel eines aufs äußerste eregierten Gliedes umschmeicheln und reizen, als bei H.? Diese Kühnheit wirkt mitreißend – in „Vernichten“ allerdings nicht. Denn je schwächer Paul wird, je weiter er sich dem Grab nähert, desto empfindlicher wird sein „Schwanz“, verbunden mit einer geradezu unerschöpflichen Erektionsfähigkeit. Houellebecq erzählt auf vielen Seiten, wie Paul  einen Steifen bekommt; seine Frau nimmt ihn in den Mund, dass es nur so spritzt. Schön zu lesen – aber doch (leiderleider) unwahrscheinlich  – und einfühlsam übersetzt von Stephan Kleiner und Bernd Wilczek.

Michel Houellebecq entwirft dazu eine passende commode Religion, als wolle er sich mit dem Tod versöhnen. Dazu passt. dass er in seiner Danksagung am Schluss, mit dem allerletzten Satz mitteilt: „… für mich ist es Zeit aufzuhören.“

Das klingt, als solle „Vernichten“ Houellebecqs Schwan(z)engesang sein –   dazu passt   das Thema Tod, das er zu stark verzuckert. Hoffen wir, dass uns alle die Erde leicht werde – und Houellebecq sich eines besseren besinnt: weiter schreibt.

                                                                                     Ulrich Fischer

Michel Houellebecq: Vernichten. Deutsch von Stephan Kleiner und Bernd Wilczek. DuMont 2022,  621 S., 28,00 €.