Theatergold

 

Ibrahim Amirs „Habe die Ehre“ in Köln erstaufgeführt

 

KÖLN. Ibrahim Amir, 32, ein in Österreich lebender Kurde aus Syrien, kämpft mit den scharfen Waffen der Satire gegen Ehrenmorde. Er schildert eine Familie aus dem Nahen Osten, in denen das Patriarchat um seine Dominanz ringt. Die Ehre der Familie ist besudelt. Die Tochter/Schwester/Schwiegertochter/Gattin hat mit einem Mann geschlafen, mit dem sie nicht verheiratet war. Der Sünder soll tot sein, zumindest behauptet einer der aufrechten Verteidiger der Familienehre (nicht unbedingt der Hellste), er habe ihn mit zwei Schüssen niedergestreckt, jetzt soll die Tochter dran glauben. Aber keiner will schießen.

 

Der Vater hat’s im Rücken, wenn er erwischt würde, das Gefängnis wäre eine Last. Der Gatte fürchtet den Knall und macht, wenn er abdrückt, lieber die Augen zu. Jeder hat  gute Gründe, abzulehnen und einem anderen den Vortritt zu lassen. Denn es muss sein. So eine Frau ist eine Hure und so einen Makel kann Mann nur mit Blut abwaschen.

 

Die nicht immer sachlich, dafür aber umso lautstärker (fortissimo!)  geführte Debatte fördert haarsträubende Dinge zu Tage. Hat die Mutter tatsächlich getrunken? Heimlich? Schnaps? Sollte sie mit dem Vater nicht immerimmer glücklich gewesen sein? Und wie steht es mit den sexuellen Künsten der Herren? Gehört das eigentlich auch zur Männlichkeit – oder nur zu ballern, wenn es nötig ist?

 

Was ist das heute, ein Mann? – In der allerschlimmsten Szene schlägt der Vater (im Off) brutal seine Tochter mit dem Gürtel – man hört die gellenden Schreie, Schmerz und Empörung mischen sich. Als der Vater auf die Bühne (in die Wohnküche) zurückkehrt, wählt Guido Lambrecht den breitbeinigen Gang (Pimproll), den Zuhälter bevorzugen, um anzudeuten, wie ihr gigantisches Gemächt sie beim Gehen behindert. Der Züchtigung der Tochter liegt ein starker sexueller Aspekt zu Grunde. Die Tochter hat Lust am Sex? Sexualneid beherrscht den Vater, er lebt ihn sadistisch aus – wenn er zuschlägt, verwirklicht er Inzest- und Allmachtsphantasien. Eine tief ausgeleuchtete Szene, das Patriarchat ist pervers.

 

Am Ende gibt es tatsächlich eine Theaterleiche. Aber nicht ein Mann schießt, sondern eine Frau – die Frauen sind überhaupt die einzigen Männer in dieser fabelhaften Farce – aber auch dieser Schuss (es ist eine ganze Garbe aus einem Schnellfeuergewehr) geht, obwohl er trifft,  fehl. Denn die Schützin ermordet den Geliebten, weil sie  meint, er sei verheiratet – dabei hat er sich gerade scheiden lassen, um für sie frei zu werden. Eigentlich schade, aber wo gehobelt wird …

 

Kölns Schauspielintendant Stefan Bachmann inszenierte selbst – er sorgte sich konzentriert und mit Liebe fürs Detail um alle Aspekte des Wahnsinns, den ein verquerer Ehrbegriff mit sich bringt – zum hörbaren Vergnügen des Erstaufführungspublikums. Es wurde viel gelacht, obwohl  (oder weil?) Bachmann klug auch die tragischen Aspekte der Farce herausarbeitete. Die deutsche Erstaufführung ging  im Depot 2, der kleinen Ausweichspielstätte des Kölner Schauspiels, über die Bretter. Bühnenbildner Thomas Garvie verkleinerte die Spielfläche noch einmal radikal, er ließ nur einen Container übrig, Sinnbild für die Engstirnigkeit und Engherzigkeit des Ehren-Wahns. Das disziplinierte Ensemble machte einen Verblendungszusammenhang sichtbar – und was für ein Juwel „Habe die Ehre“ ist. Jede einzelne Figur zeigt einen anderen Aspekt des Pascha-Wahns. Das Publikum war am Freitagabend nach der deutschen Erstaufführung aus dem Häuschen, der Jubel wollte nicht enden;   Ibrahim Amir verbeugte sich zusammen mit dem Ensemble und erhielt Extrabeifall.

 

Amir ist ein Meisterwerk gelungen – seine Farce erinnert an Michael Frayn und  Nobelpreisträger Dario Fo. „Habe die Ehre“ ist ein Höhepunkt der Saison, nicht nur in Köln. Nachspielen!

 

Ulrich Fischer

 

 

Kartentelefon: 0221 221 28400 – Internet: www.schauspielkoeln.de

 

Aufführungen am   25., 28. und 29. Mai;14. Juni – Spieldauer 80 Min.