Schnädderängtäng!

Karls Kraus‘ „Die letzten Tage der Menschheit“ in Salzburg

 

SALZBURG. Karl Kraus hat mit seinen „Letzten Tagen der Menschheit“ ein Antikriegsstück geschrieben, das sich als zukunftsweisend herausgestellt hat. Die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges hatten Kraus einmal mehr an der Menschheit (ver)zweifeln lassen und der Wiener Satiriker packte seinen Fünfakter derart mit Beobachtungen, Zitaten und Glossen überfrachtet, dass er selbst überzeugt war: Das kann man nicht spielen. Seitdem sind „Die letzten Tage der Menschheit“ eine Herausforderung für Theaterleute. Die Salzburger Festspiele, die sich in diesem Jahr thematisch mit Hundert Jahre Erster Weltkrieg auseinandersetzen, nahmen das Stück in ihr Programm, das Wiener Burgtheater kooperierte. Ursprünglich sollte Matthias Hartmann inszenieren. Nachdem Intrigen zu seiner fristlosen Kündigung als Intendant der Burg geführt hatten –   Hartmann ficht diese wacklige Kündigung an  – betraute die neue Leitung des Hauses Georg Schmiedleitner, dem der Sprung von mittleren zu großen Häusern bislang nicht gelungen war,  mit der Inszenierung.

 

Der nahm alle Kraft zusammen und brachte mit seinem wackeren Ensemble eine respektable, aber im Kern anfechtbare Inszenierung zustande. Eine Szene glückte vor allem, gleich am Anfang: Der Nörgler – mit den Textmassen schwer belastet,  handwerklich makellos, aber kaum mehr: Dietmar König – beginnt mit seinen Angriffen auf die Zeit und Zeitgenossen, scharf, pointiert, witzig, zupackend, eben Karl Kraus in seinen besten Tagen; nach fünf Minuten fährt die Hebebühne langsam ein Podium mit einer Blaskapelle empor. Schneidig spielte sie einen Marsch, besonders energisch die Tuben. Sie sind, zusammen mit den Posaunen, laut genug, um den Nörgler mühelos zu übertönen. Schnädderängtäng!

 

 

Keiner spielt so gut wie Peter Matić

 

Doch eine solch geglückte, sprechende Szene sollte sich nicht wiederholen. Es gab Streitgespräche des Nörglers mit seinem affirmativen Widersacher, dem Optimisten – die auf Dauer ermüdeten und nicht immer verständlich waren, zu komplex. Es gab Angriffe gegen die Kaiser, den deutschen und den österreichischen. Zwar sang Peter Matić als greiser, sterbender Kaiser Franz Joseph ein Schnadahüpferl über die Machtlosigkeit der Mächtigen – Matić war glänzend, der beste im Ensemble – aber die zupackende Analyse blieb aus. Eine gewissenlose Kriegsbefürworterin beschrieb (Ernst Jünger ähnlich) die süße Lust an der Begegnung mit dem Tod im Krieg und in der Schlacht – aber sie wiederholte sich.

 

Wie sich die Effekte der Inszenierung wiederholten. Allzu oft schienen die Scheinwerfer vom Bühnenhintergrund her ins Publikum und strapazierten unsere Augen, allzu oft stieg eine Aktrice, ein Akteur eine Revuetreppe empor oder hernieder.

 

Georg Schmiedleitner, der Regisseur, der zusammen mit Florian Hirsch, seinem Dramaturgen, die Textfassung erstellt hatte, hätte mehr streichen sollen – und können. Es gab zu oft Redundanzen, das schadete der Inszenierung. Die Fülle der Szenen, zu einer riesigen Collage zusammengefügt, bewirkte, dass die laufende Szene die Erinnerung an die vorige verblassen ließ – und die vorvorige fast vergessen. Der Regisseur verlor die Konzentration aus dem Auge.

 

Und auch die Kraft der Provokation. Kraus forderte seine Zeit heraus – diese Inszenierung fand Beifall – uneingeschränkt, lang, viele begeisterte Bravos.

 

Zu viel Witz, zu wenig Grauen

 

Das lag an Schmiedleitners Neigung, der Unterhaltung, dem Witz, dem Kabarett mehr Gewicht einzuräumen als dem Grauen des Kriegs. Er wollte offenbar sein Publikum nicht überfordern, ja er wollte unterhalten, offenbar sogar gefallen. Den Verdacht erweckte Schmiedleitner, weil er vermied, auf aktuelle Tendenzen hinzuweisen, die den Krieg wieder zu befürworten scheinen. Nur manchmal, als Kraus die unerträgliche antirussische Propaganda der Wiener Presse seiner Zeit an den Pranger stellte, wurden  Erinnerungen an heutige Elaborate lebendig.

 

Johann Kresnik hat das den „Letzten Tagen der Menschheit“ eingeschriebene Entsetzen ins Theater übertragen (1999). Der österreichische Meisterchoreograph und -regisseur hatte einen ungewöhnlichen Ort gewählt: nahe Bremen an der Weser einen Riesenbunker, den die Nazis von KZ-Insassen errichten ließen und nie vollendeten – wie die Wunderwaffe, die sie dort bauen und mit der sie den Krieg gewinnen wollten. Das Monströse des Bauwerks enthüllte das Monströse des Stücks wie das Frevelhafte und Menschenfeindliche des dem Krieg zugrunde liegenden Denkens – von dieser Kompromisslosigkeit ist Schmiedleitners menschenfreundliche „Menschheit“ Lichtjahre entfernt.

 

Vielleicht wäre Matthias Hartmann Kresniks Maßstäbe setzender Inszenierung näher gekommen. Es war und ist die Kraft von Hartmann (wie die von einem seiner Vorgänger Claus Peymann), aktuelle Missstände unerschrocken beim Namen zu nennen, das ist das unsterbliche Verdienst von Karl Kraus. Seine Sprachkritik ist Gesellschaftskritik, er ist einer der geistigen Urgroßväter von Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. Diese Vitalität österreichischen Oppositionsgeistes wusste Georg Schmiedleitner nicht zu entbinden – seine Inszenierung schien in gewissen Momenten, als biedere sie sich dem Zeitgeist an. Opportunismus statt Opposition – ein krasses Missverständnis.

Ulrich Fischer

 

Auff. am 4., 6., 8., 9., 10., 12., 14. und 15. Aug. –Die Auff. wird in der neuen Spielzeit in Wien an der Burg übernommen.

 

Internet: www.salzburgfestival.at