Mal was ganz Grundsätzliches

Das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg – Licht & Schatten

HAMBURG.   Respekt ist mein Grundgefühl gegenüber dem Deutschen Schauspielhaus in Hamburg – eine der großen und tonangebenden Bühnen unserer Republik. Mein Respekt gilt gleichermaßen der Technik, die täglich Wunder vollbringt, wie den künstlerischen Sparten, an der Spitze der Intendantin und Ersten Regisseurin, Karin Beier – und der Chefdramaturgin Rita Thiele, die leider jetzt in den Ruhestand gegangen ist. Dabei ist es mit den Dramaturginnen wie mit dem Wein – je älter, desto besser.

Karin Beier – Foto: Florian Raz

Ich schicke das voraus, weil ich meckern will. Ich hab mich immer vornehm zurückgehalten, aber jetzt muss es raus. Kürzlich gab es zwei Uraufführungen – aber keine Stücke, sondern Bühnenadaptionen  von Romanen. „Was Nina wusste“ von David Grossman und  „Kindeswohl“ von Ian McEwan.  Beide Bücher sind besser als die Bühnenfassungen. Es ist Mode geworden, epische Werke für die Bühne zu bearbeiten – es gelingt nur im Ausnahmefall. Frank Castorf kann sowas oder John von Düffel – im Deutschen Schauspielhaus geht zwischen Roman und Bühnenbearbeitung zu viel verloren.

Ian McEwan verweist in seinem Roman auf Musikwerke – in  Karin Beiers Bearbeitung werden sie eingefügt und ausgeführt – aber das wichtigste Ingrediens geht verloren: diese Musik ist ein Distinktionsmerkmal. McEwan zeigt, dass seine Protagonistin, eine hohe Richterin, zu den allerbesten Kreisen gehört, während der junge Mann, der für sie erglüht, weit entfernt von diesen Sphären haust. Vom Klassenunterschied bleibt in der Inszenierung nix übrig.

Aber: Warum überhaupt Romane vertheatern – es gibt so viele gute Stücke. Und eine Frau wie Karin Beier, die jetzt in den Logen der Theaterwelt residiert, hat eine Verpflichtung, sich   junger Dramatikerinnen anzunehmen oder jenen zu helfen, deren Bahn noch gesichert werden könnte. Ich denke an Felicia Zeller. Ihr „Fiskus“ ist ein Meisterinnenwerk – warum ist das nicht im Spielplan zu finden? Und es gibt noch mehr. Viel mehr.

Oder, wenn ich das Stichwort Musik noch mal aufnehmen darf: hab ich das übersehen, oder gibt es tatsächlich keine Übersicht über die Werke, die gespielt werden? Und wenn Schauspieler singen, bleibt nicht nur häufig die sängerische Qualität hinter professionellen Standards zurück, man kann auch die Worte nicht verstehen – warum sind sie nicht im Programmheft notiert? Zumal, wenn sie von Rainer Maria Rilke gedichtet worden sind? Ian McEwan beschreibt ganz genau, was gespielt, was geübt wird …

Überhaupt: Programmheft. Titelseite. Da steht: „Deutsches/ SchauSpielHaus/Hamburg/Kindeswohl“ – kein Dramatiker. (Stellen Sie sich mal vor: „Kabale und Liebe“ – und kein Fritz!) Das ist eine Missachtung, die offenbar System hat. Auf der inneren Umschlagseite steht: groß gedruckt: Kindeswohl, nächste vier Zeilen kleiner, aber alles in einer Größe: von Ian McEwan/Bühnenadaption des Romans „The Children Act“/von Karin Beier und Sybille Meier/aus dem Englischen von Werner Schmitz. – Soll durch die gleiche Größe der Buchstaben insinuiert werden, dass die künstlerische Leistung von Ian McEwan, dem Romanautor, und den Verfasserinnen der Bühnenadaption gleich zu bewerten sei? Da hat einer ein philosophisch-rechtliches Problem in seiner Tiefe ausgelotet, hat eine Fabel und fabelhafte Figuren konstruiert, (die britische Klassengesellschaft in ihrer heutigen Ausformung beschrieben und kritisiert) – und das ist so viel wert, wie eine Bühnenadaption zu schreiben? Protest!

Ian McEwan hat sich wohl überlegt, welche Form er wählt. Er hat sich nicht für Lyrik entschieden, nicht für Drama, sondern für die epische Form. Und er hat Recht   – in der dramatischen Form verliert sein Stoff (s.o.). Hegel hat in seinen Vorlesungen über die Ästhetik herausgearbeitet, dass Künstler genau überlegen müssen, welche Form sie wählen, bevor sie anfangen zu arbeiten. Rodin hat für den „Kuss“ kein Gedicht gewählt, sondern pentelischen Marmor. Frau sollte diese Entscheidung des Künstlers respektieren – und gute Gründe haben, einen Stoff von einer in die andere Form zu überführen. Meistens haben die Schöpfer des Originals Recht – in den beiden genannten Fällen auf jeden Fall.

Für die Redaktion des Programmhefts zeichnet Sybille Meier verantwortlich. Was sie da macht, ist anfechtbar. Die neue Chefdramaturgin ist Beate Heine. Eine  anständige feministische Spitzenbühne sollte   doch sorgfältiger arbeiten. Alles Korinthen? Oder nicht doch mehr? Minderachtung der wirklich Kreativen, Überschätzung der Sekundärschöpferischen! Die Musiker, die auf der Bühne spielten, sind genannt – die Komponisten und ihre Werke fehlen.

Aber das hab ich schon gesagt.

Ich gehe weiter ins Deutsche Schauspielhaus. Aber es gibt Verbesserungsbedarf. Und nicht nur in diesem Theater.

Dringend!

                                                                                               Ulrich Fischer