Ein Juwel

Edmund de Waals “  Hase mit den Bernsteinaugen“ – eine bewegte Geschichte

„Der Hase mit den Bernsteinaugen“ – so der Titel von Edmund de Waals Geschichte – kommt aus Japan. Er ist ein kleines Juwel, geschnitzt, und gehört zu eine größeren Zahl von „Netsuke“, wie die Japaner diese Liebhaberstücke bezeichnen. Sie haben im 19. Jahrhundert, nachdem Amerikaner Japan gezwungen hatten, sich der Welt zu öffnen, den Weg nach Europa gefunden – und de Waal erzählt ihre Geschichte bis heute.

Es ist zugleich die Geschichte von einer reichen Familie. Sie stammt aus dem Osten, der jüdische Gründervater machte in Odessa ein Vermögen als Weizenhändler und Bankier; dann wanderten die Söhne nach Westen; wichtige Niederlassungen konnte die Familie in Paris gründen und auch in Wien.

Die ältesten Söhne mussten den Karren ziehen und ins Geschäft, den Reichtum mehren, aber ein jüngerer durfte seinen Talenten&Liebhabereien folgen. Einer wurde ein angesehener Kunsthistoriker – eines seiner schönsten Besitztümer war ein Ensemble der Netsuke, die er in einer Vitrine ausstellte, als in Paris Japan ganz groß in Mode war.

Später wanderten die edlen Schnitzereien   nach Wien und schmückten das Ankleidezimmer einer reichen jungen Dame,  die eingeheiratet hatte – sie bewohnte mit Mann/Gatte/Gemahl und Kindern, selbstmurmelnd beste Adresse. Der Reichtum der Familie wie der aller Juden erregte Neid, der Antisemitismus trieb schreckliche Blüten – aber niemand stellte sich vor, was kommen sollte.

Als die Österreicher sich den Nazis an den Hals warfen, folgten unmittelbar die Verfolgungen. Der Fall von höchstem Reichtum zur Bettelarmut war schrecklich (die Fallhöhe natürlich für den Poeten außerordentlich fruchtbar), wer sich ins Ausland retten konnte, durfte sich glücklich schätzen. Die Räuber übersahen die Netsuke, ein treues Dienstmädchen rettete die wertvollen Stücke – und sorgte dafür, dass sie nach dem Untergang des 3. Reiches in die Hände der rechtmäßigen Erben kam – unter ihnen einer, der nach Japan ging, dort im Weizenhandel erneut reich wurde – und die Juwelen wieder „nach Hause“ brachte, ins Reich der aufgehenden Sonne.

Ein Roman? Eine (kunst)historische Studie? – Beides! Voller Spannung und ganz wunderbarer Anklage: schlank vorgetragen, ohne Schaum vorm Mund gegen die Antisemiten, die Nazis, die gierigen Geier. Die allerbesten Partien des Romans handeln von der Nazizeit – und von der Postnazizeit. Die Analyse, wie es in Österreich nach der Befreiung weiterging, ist schneidend. Die alten Nazis, die nie Nazis gewesen waren, wenn man sie fragte, sorgten dafür, dass nur wenige Besitztümer restituiert wurden. Das Unrecht dauert an.

Edmund de Waal hat mit diesem Mix aus Fiktion und Fakten ein großartiges Buch geschaffen – sein Erfolg ist verdient. Die Lektüre macht nicht nur Freude, sie erweitert auch das Wissen und das Bewusstsein. Brigitte Hilzensauers Übersetzung aus dem Englischen ist makellos.

„Der Hase mit den Bernsteinaugen“ ist ein Juwel.